Autograf: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main (D-F), Sign. Mus. Autogr. A. Schmitt A 168

Hochverehrter Freund, und Meister der Töne!

Wie lange schon habe ich in Gedanken die Feder in der Hand, um mich wieder mit Ihnen zu unterhalten, allein, da ich kein besonderes Motiv hatte, um Ihnen zu schreiben, so legte ich die Feder weg, auf eine Zeit wartend: Ihnen etwas melden zu können, was Sie mehr interessirt, als so trockene Buchstaben. Da dieß nun – in Betref meiner – der Fall ist, so setze ich auch gleich die Feder an; beginne aber gleich mit einer Klage; eine Klage, über die auch Sie wohl mit einstimmen. Der Zeitgeist ist‘s, die Richtung in unserer Kunst, die mich mit Wehmuth erfüllt, u. wo es auch nicht abzusehen ist, wie und wann es anders und besser wird.
Verworrenheit ist jetzt das herschende Losungswort. Wunderbar! nicht zu leugnen ist es, daß es noch gar Viele giebt, die Sinn für Gesundes, Klares u. wahrhaft Schönes haben, aber – die käufliche Journalistik – für die man tausende verwendet – führt die Menschen irre, so, daß es so kommen mußte, wie es ist u. was wir haben. Nachdem ich die Sache – wie gesagt – lange schon drangegeben habe, besuchte mich vergangenes Frühjahr der verehrungswürdige Theaterdirecktor Greiner von Aachen, und bat mich um meine Oper: „das Osterfest zu Paderborn“ die er in Aachen geben wolle.
Ich weigerte mich anfangs sehr, aber auf seine dringender werdendes bitten – gab ich‘s ihm endlich, besonders berücksichtigend: da mein Sohn Capellmeister bei ihm war. Jetzt ist mein Sohn1 – wie Sie gewiß wissen – Hofkapellmeister in Schwerin. Meine Oper wurde nun dort einstudirt und ich wurde zur Aufführung dringend eingeladen. Ich gieng hin. Welche Aufnahme mein Osterfest in Aachen fand, haben Sie wohl schon gehört u. gelesen.2 Ohne hier in Weitläufigkeiten mich einzulassen, sage ich Ihne nur: daß ich einen solchen Halloh nicht erwartet habe. Was aber Publikum, das Theater und Orchester mir nur erweisen konnte von Ehre u. Auszeichnung, hat man redlich gethan, so: daß ich beschämt von Aachen wieder fortgieng. Ich Folge dieser gloriösen Aufnahme – höre ich – sind seitdem viele Zeitungen des Lobes voll von meinem Werke, u. es könnte leicht kommen – wie Manche versichern – daß meine Oper sich – durch Aachen – in unserem lieben Vaterlande Bahn bräche. Geschähe es in der That u. Wirklichkeit, so würde es meine letzten Lebenstage erhellen, mich jedenfalls ermuthigen, was ich sehr bedarf, denn ein gewisser Trübsinn u. eine gewiße Muthlosigkeit hat sich meiner längst schon bemeistert. Was nun meine Oper betrifft, so bin ich fern(?), Sie zu bitten: sich meines Werkes dort in Cassel anzunehmen, u. es dort zu Aufführung zu bringen, denn ich weiß: daß Sie hierin von selbst u ohne erst eine Anregung zu haben – thun, was Sie können. Nur so viel erlaube ich mir bezufügen: daß Sie vielleicht Freude an mir hätten, wenn meine Oper dort – unter Ihrer Leitung gegeben würde, worauf ich natürlich unendlich stolz wäre. In solchem Falle: wünschten Sie wohl das gedruckte Textbüchelchen vom Osterfest zu besitzen? Es bedarf nur ein Wort, u. ich schicke es Ihnen gleich; dieß oder das geschriebene Buch, wie Sie wollen. - Daß Sie ewig in meinem Andenken fortleben, u. das Ihres Namens hier in meinem Hause fast täglich Erwähnung geschieht, versteht isch von selbst, so wie die Bewunderung u. Verehrung keine größere sein könnte, als wir Alle in meinem Hause gegen Sie hegen. Auch meine Schülerin – Fräulein Brandau – spricht immer sehr viel von Ihnen, und mit wahrem Entzücken rühmt sie die Güte, die Sie dort gegen sie hatten. Wenn diese junge Dame sich so fort entwickelt, wie bisher, so wird sie – zu seiner Zeit – zu meinen3 besten besten Schülern gehören. Es perlt schon tüchtig in ihrem Spiel, u. überhaupt bin ich außerordentlich mit ihrem Spiel zufrieden, so wie sie auch viel Anstand in ihrem Benehmen u. in ihrer Beziehung hat. Sehr sollte es mich freuen, wenn diese paar Worte ihr dort in Cassel eine günstige Meinung bereiteten. Es ist heutigen Tags so schwer für junge Künstler, sich bemerkbar zu machen; Wir Alten müssten eben da nachhelfen, wenn es Jemand verdient, u. Fräulein Brandau verdient es in der That.
Was nun das hiesige Theater u. die Theaterverhältnisse anbelangen, so ist im Augenblick grade nichts rühnliches darüber zusagen. Ein armes Repertoire u. Hindernisse aller Art!!! -
Für den Fall, als Sie – wegen der Besetzung – etwas Näheres über mein Osterfest wissen möchten, bemerke ich: daß die ganze Oper mehr oder weniger auf vier Säulen ruht, nehmlich auf Aswinda (die Tochter des Königs Wittekind – mezzo Sopran, getragener Gesang) Askur, Tenor, Wittekind Bariton – und Wolluf, Oberpriester (Bass). Ob Sie wohl Fräulein Tettelbach kennen? Diese gab die Aswinda in Aachen, u. zwar ganz vortrefflich. Chrudimsky den Askur, sehr gut. Den Namen der beyden andern, weiß ich nicht mehr genau, aber sie waren gut4, das Orchester u. die Chöre ganz vortrefflich, namentlich ersteres.
Wenn sich‘s bewahrheiten sollte, was so viele äußerten, nehmlich: das mein Osterfest ein Fingerzeit für die jungen Componisten sei, so werde ich sehr stolz darauf sein, und ich werde dieß als Entschädigung für die vielen Schmerzen, die ich im Leben erleiden mußte – namentlich was das dramatische anbelangt – ansehen.
Doch muß es bald kommen, denn capitulirt habe ich bereits u. meine Bagage ist5 lange schon vorangesandt.
Vor kurzem bot uns H Eliason Gelegenheit, Ihr Nonett in seinem Concerte aufzuführen. Es gieng recht gut, u. ich lauschte mit aller Andacht dazu.6
Doch will ich Ihre Geduld u. Ihre Augen nicht länger in Anspruch nehmen, und Sie nur noch bitten: mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin bestens zu empfehlen, und meiner gütigst gedenken zu wollen.
Mit der innigsten Verehrung bin u bleibe ich

Ihr ganz ergebenster Aloys Schmitt.

Frankfurt a/m d 11ten November 1856.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 20.02.1855. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 12.08.1857.

[1] Georg Alois Schmitt.

[2] Vgl. „Kunstnotizen“, in: Didaskalia 20.09.1856, nicht paginiert; „Aachen“, in: Neue Berliner Musikzeitung 10 (1856), S. 316.

[3] „meinen“ über der Zeile eingefügt.

[4] Zum Ensemble des Aachener Theaters 1856 vgl. Deutscher Bühnen-Almanach 21 (1857), Verzeichnis, S. 41ff.

[5] „ist“ über der Zeile eingefügt.

[6] Vgl. Erasmus, „Briefe aus Frankfurt a.M.“, in: Neue Zeitschrift für Musik 46 (1857), 214f., 225f. und 235ff., hier S. 225; „Eliasons großes Concert“, in: Frankfurter Museum 2 (1856), S. 352.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (17.04.2018).