Autograf: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main (D-F), Sign. Mus. Autogr. A. Schmitt A 167

Seiner Wohlgeboren
Herr Capellmeister L. Spohr
in
Cassel.
 
fro.0
 
 
Hochverehrter Freund!
 
Wenn ich auch heute wieder als Bittsteller vor Ihnen erscheine, so möchte ich vor mir selber erröthen, da ich Ihre Güte so häufig schon in Anspruch genommen habe. Der Gedanke aber: daß fast nie ein Tag vergeht, wo Aehnliches bei mir vorfällt, macht es mir leichter, die Feder zu ergreifen, Was thut man denn in Aller Welt nicht gern für andere, namentlich für sein eigenes Kind!
Mein Sohn G. August – ist Sekretair bei‘m Herrn Baron, Carl von Rothschild in Neapel, also kein Musiker, aber nebst vielen schönen Eigenschaften u. Gaben – namentlich in Sprachen (seine Funktion bei Rothschild ist: in vier Sprachen zu korrespondiren) hat er in Musik ein vortreffliches Urtheil, so: daß ich mich oft daran ergötzt habe, oft mehr: als über das Urtheil von Musikern und Theoretikern, die häufig die Schauspiele nach Figuren u.d.gl. beurtheilen.
Mein August bat mich schon einigemal in seinen Briefen, um eine Empfehlung von Ihnen an Mercadante in Neapel. Ich ließ es unerwähnt, u. auf sich beruhen. Da er aber wiederholt u. so dringend neuerdings um diese Empfehlung bittet, so kann ich nicht mehr umhin: ihm seine Bitte: Sie um ine Empfehlung von Ihnen an Mercadante für ihn zu bitten. Er meint u. sagt zwar: daß es ihm wohl möglich sei, den italienischen Meister kennen u. ihm persönlich vorgestellt zu werden, aber, er scheint eine besondere Ambition u. Ehre hinein zu setzen: von einem so berühmten Manne, wie Sie hochverehrter Freund, bei Mercadante vor – und eingeführt zu werden, zu dem – wie er ausdrücklich mehrere male beigefügt – da Ihre Empfehlung besonderers Gewicht bei Mercadante habe, indem dieser Sie (wie dort bekannt ist) unendlich hochhielte u. hochverehrte. Sie haben jenen Meister persönlich näher kennen gelernt, als Sie in Neapel waren. So meldet mir wenigstens mein August, also: relata refero.1
Diese Ambition: nur von einem berühmten Manne2 einem berühmten Manne3 vorgeführt u. empfohlen zu werden, müßen Sie dem jungen – kaum 23jährigen Manne zu gute halten. So im Vorübergehen gesagt, ist August von Gestalt und seinem Benehmen – jetzt – unter jungen Männern – eine Seltenheit, wie Ihnen alle diejenigen sagen würden, die ihn näher kennen. Dieß füge ich nur darum bei: weil Sie nicht möglicherweise eine Unehre zu fürchten haben, von Ihrer Empfehlung.
Nocheinmal sei‘s gesagt: August hat ein vortreffliches Urtheil in Musik, und er will u. verlangt ja nichts weiter, als blos die persönliche Bekanntschaft des berühmten italienischen Meisters durch Sie vorgeführt u. empfohlen.4
Was nun Frankfurt und das Kunsttreiben hier anbelangt, so könnte es trauriger nicht aussehen, als es aussieht. Alles in den Haaren! nichts wie Zank – Hader und Streit, öffentlich und in‘s Gesicht. Von Allem habe ich mich gänzlich zurückgezogen, u. lebe einsam, wie in einer Einöde.
Anfang Winters – war die Rede von Auffühung einer Symphonie von mir im Museum5, da gab‘s aber – wie ich hörte – Disput - ob ja? oder nein? und da unterbliebs und als man mich späterhin um eine Ouverture (Zum Schluß u. Mäntelanziehen) bat, da dankte ich höflich.
Was aber sehr interessant ist, u. vielleicht das Beste, was je in dieser Art geleistet wurde – (Forkel u. Gerber nicht ausgenommen) sind die Vorlesungen von Damcke über die Geschichte u Entwickelung der Musik, von der Entstehung der Musik an, bis auf die heutige Zeit. Und was ich auch Lobendes davon sage, so übertrifft Damckens Leistung jedes Lob. Da Damcke zugleich ein tüchtiger, gründlicher Tonsetzer ist, so spricht er natürlich nicht wie ein Blinder von der Farbe, wie es oft bei so trockenen Theoretikern der Fall ist, sondern mit einer Begeisterung u. Würde mit einem so sonoren Organ und herrlichen Sprache, daß ich jedesmal voll der Bewunderung bin, so oft ich den Vorlesungen beigewohnt habe.6
Sehr würden Sie sich freuen, diesen eminenten Vorträgen bei zu wohnen. Damcke wird uns aber das Frühjahr wieder verlassen, welches ich sehr bedaure. Hier heißt es: Geld, und die Lehrstühle finden sich auf den Comptoirs. Ein Mann für eine Universität wie München etc.
Nun leben Sie wohl, hochverehrter Freund, u. nehmen Sie mir meine Freiheit nicht übel. Noch muß ich beifügen, daß ich in der Kürze die Musik zu einem Drama (die Sage vom Kugelberg bei Aschaffenburg) geschrieben habe, welches bereits mehrmals in Aschaffenburg (wo der junge, talentreiche Dichter7 lebt) mit großem Beifall aufgeführt wurde. Mehrere Chöre, i Terzett, i Aria, und eine Romanze, so wie Ouverture, 2 Entre act u. eine Art Tanzmusik auf der Bühne – bilden das Ganze.8
 
Mit hoher Verehrung bleibe ich Zeit Lebens
Ihr treuergebener Freund Aloys Schmitt.
 
Frankfurt a/m den 20ten Februar
1855.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 20.03.1854. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 11.11.1856.
 
[0] [Ergänzung 26.09.2022:] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „FRANKFURT / 20. / FEB. / 1855 / 13-2“, links unten das Fragment eines weiteren Stempels, auf dem zusammengefalteten Briefumschlag der leicht verwischte Stempel „D 1 / 21.2.“.
 
[1] „relata refero“ = lat. „Berichtetes berichte ich“.
 
[2] „Manne“ über der Zeile eingefügt.
 
[3] „Manne“ über der Zeile eingefügt.
 
[4] Ein Empfehlungsbrief von Spohr an Saverio Mercadante für August Schmitt ist derzeit nicht bekannt.
 
[5] „im Museum“ über der Zeile eingefügt.
 
[6] Vgl. dagegen A[nton] S[chindler], „Aus Frankfurt am Main“, in: Niederrheinische Musik-Zeitung 3 (1855), S. 46f., hier S. 46.
 
[7] Gustav Stoll.
 
[8] Vgl. Heinrich Henkel, Leben und Wirken von Dr. Aloys Schmitt, Frankfurt am Main 1873, S. 71.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (17.04.2018).