Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr Hochwohlgeboren
dem
Herrn Dr Louis Spohr, kuhrhessischer
Hofkapellmeister
zu
Kassel.

Frey.


München den 4ten November 1852.

Hochgeehrtester Herr!

Ihr leztes Schreiben ist mir zugekommen, nachdem es, bei meiner Logie-Wechslung einige Tage liegen geblieben.Daßelbe hat mich unendlich gefreut und ich danke Ihnen recht oft dafür. Obschon ich jetzt meine wöchentlich 3 Stund. Klavierstunden und ebenso viele Theorie-Unterricht bezahlen muß, und meine 500 Fl. bei gänzlichem Mangel besserer Kleidung etwas leiden werden; wozu noch die, (nicht abzuwendende kurze) Reise zur Conscription nach Baden kommt, so werde ich doch äußerst sparsamm für mich leben, um die Reisekosten nach Kassel u. wenigstens 200 Fl. für meinen Aufenthalt dort, bis nächstes Frühjahr zu bestreiten.
Ich weiß mich nicht besser Ihrer Theilnahme an mir, und Ihres beständigen Wohlwollens würdig zu machen, als daß ich Ihnen in Allem Folge leiste. Die Reiße nach Baden werde ich an Weihnachten auf wenige Tage beschränken, um mich ohne wesentliche Unterbrechung hier bis Frühjahr aufzuhalten. Bis dorthin werde ich die Kompositions-Lehre vollendet haben und auch mein Klavierlehrer, der mich (zum einstigen Unterrichtgeben,) alle möglichen Tonleitern und Fingerübungen spielen lassen wird, hat mir gesagt, er werde dammit bis Frühjahr an ein bekanntes Ziel mit mir kommen. Ein Virtuos wird eben schlechterdings nie einer aus mir werden, doch will ich mit Geduld machen, was ich kann. Im hoffnungsvollen Frühjahr 1853 werde ich dann von Ihrem schönen Antrage Gebrauch machen, und zu Ihnen, nach Kassel, kommen. Ich kann Ihnen gar nicht genug sagen, mein theurer Herr, was Sie mich geehrt und gefreut haben durch dießen Antrag, und ich wünsche sehr, daß Sie an mir noch recht eine Freude erleben mögen, wozu „ich“ direct und indirect – durch Fleiß und tadelloses Betragen – das Meine sicherlich beitragen werde. Sie werden mich als offenen und gemüthlichen Schwarzwälder kennen lernen, der immer schreibt und handelt und spricht, wie er denkt. Wo ich das „nicht“ kann, da mag man mich allerdings für einen Grobian, für einen Esel p.p.p. Ansehen; wer mich kannte und zu behandeln wußte, war immer mit mir zufrieden. Es sind solcher leider zu Wenige! –
Mit dem Partiturlesen und dem schnellen Notenlesen überhaupt geht es bei mir noch schrecklich langsam. Doch werden Sie sich das schon vorstellen können! Ich habe diesen Winter hier Gelegenheit in den Concerten der Academie der Wissenschaften u. schönen Künste, die besten klassischen Symphonien, Oratorien p.p. Zu hören. Am Iten November war das Ite Concert.1 Was für Augen ich beim Anhören der Simph. Heroica v. Beethoven machte, können Sie sich leicht vorstellen, da dies die 1te Symph. ist, die ich hörte! Daß ich so schnell keine solche schreibe, weiß ich. –
Ich lebe hier sehr zurückgezogen und danke Gott, wenn ich Niemand brauche. Doch wünschte ich, ausnahmsweiße, schon längst den Director Hauser kennen zu lernen. Mein Herr Lehrer2 hielt es übrigens bisher für nicht rathsamm, mich bei Herrn Hauser einzuführenn, da ein Conservatoriums-Concert ihm in jüngster Zeit sehr viel zu schaffen machte. Doch wird es in Bälde geschehen können. –
Sonst weis ich Ihnen nichts Neues zu schreiben, mein lieber Herr, als daß ich Ihnen nochmals meinen innigsten Dank ausspreche für Ihre, wirklich beispiellose, Theilnahme an mir, die mich um so mehr rührt, als ich noch gar nichts Ordentliches bin. Der Gedanke belästigt mich oft: „Schon so alt und noch eine 0 in der Welt.“ Ohne Sie wäre ich wirklich ein Nichts geblieben. Wenn deßhalb etwas Tüchtiges aus mir wird, so ist es Folge Ihrer edlen, uneigennützigen Handlungs-Weiße, und ich und Andere werden Sie dafür segnen!
Leben Sie nun recht wohl und glücklich,

der Ihrige
dankbare
F.J.A. Keppner.

Autor(en): Keppner, Franz Joseph (Sohn)
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Hauser, Franz
Maier, Julius Joseph
Erwähnte Kompositionen: Beethoven, Ludwig van : Sinfonien, op. 55
Erwähnte Orte: München
Erwähnte Institutionen: Bayerische Akademie der Wissenschaften <München>
Konservatorium <München>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852110446

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Keppner, 29.10.1852. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Keppner an Spohr, 29.12.1852.

[1] Zu diesem Konzert vgl. „Vermischtes“, in: Neue Zeitschrift für Musik 37 (1852), S. 246.

[2] Julius Joseph Maier.

Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Wolfram Boder (11.10.2019).