Autograf: Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel (D-Wa), Best. 299 N Nr. 157 (vgl. Arcinsys, dort verschwunden; Mikrofilm in D-Ksp)

Hochzuverehrender Herr Kapellmeister!

Durch Mittheilungen von Oberfinanzrath Heppe in Cassel und Dr. Wiskemann1 hierselbst haben Sie bereits, wie ich erinnere, von dem traurigen Geschick des Musik-Directors Kupsch, welcher sich dermalen noch dahier befindet, Kenntniß erhalten.
Gegenwärtig bietet sich nun für Kupsch eine Aussicht dar, um seine Sorgen um das Wohl seiner Familie für die Zukunft ein Ziel zu setzen. Es ist ihm nämlich nach einem gestern dahier von Leipzig angelangten Schreiben Nachricht gegeben worde, daß die erste Musik-Director-Stelle in Nürnberg vacant sei, daß man dort – in Nürnberg – auf ihn reflektire und daß die Stelle unter namhaft gemachten, recht vortheilhaften, Bedingungen, insbesondere mit einer jährlichen Einnahme von 800 Gulden und 2 Benefizen, dargeboten werde. Kupsch, obschon noch immer leidend, glaubte sich doch stark genug zu fühlen, um auf jene Musik-Director-Stelle die, wie er übrigens weiß, keinen geringen Aufwand von Kräften erfordert da dort wüchentlich einmal Oper sein soll – entriren2 zu können. Zu dem Ende beabsichtigt er in diesen Tagen nach Nürnberg zu schreiben, wünschte jedoch, wenn er gleich, wie Ihnen vielleicht bekannt, ein günstiges Zeugniß von Mendelssohn hat, vorzugsweise auch ein solches von Ihnen zu besitzen, da dieses, nach seiner Ansicht ein großes Gewicht in die Wagschale legen würde. In seiner großen Zartheit und Bescheidenheit wollte er jedoch als heute die Rede auf ein solches Zeugniß kam, nicht wagen, Sie, hochzuverehrender Herr Kapellmeister, damit zu behelligen, gab jedoch endlich auf, als ich mich dazu erbot, meinerseits die Bitte an Ew. Hochwohlgeboren zu übernehmen.
Da ich nun erinnere, daß Sie Compositionen von Kupsch kürzlich vor Augen gehabt und sich nicht unvortheilhaft über dieselben ausgesprochen haben, so würde Sie wohl, wie ich glaube, kein Bedenken tragen, auf den Grund der Beurtheilung jener Arbeiten eine Empfehlung für Kupsch auszusprechen. Eine solche würde ihm, unter den gegenwärtigen Umständen, äußerst nützlich sein können.
Ich erlaube mir deshalb, an Ew. Hochwohlgeboren die Bitte zu stellen, ein empfehlendes Zeugniß dieser Art in Betreff der Compositionen von Kupsch mir nur, wenn es gangbar erscheinen sollte, durch letzteren, und zwar, wenn es möglich ist, bei der Eile der Sache recht bald – zukommen zu lassen.
Ich würde in Namen des armen Leidenden und für mich Ihnen hierfür sehr dankbar sein.
In dem ich schlieslich bitte mich Ihrer Frau Gemahlin freundlichst zu empfehlen, unterzeichne ich mich mit der vollkommensten Hochachtung als

Euer Hochwohlgeboren
ganz ergebenster
Richard Bode

Hersfeld am 11 Mai 1846.

Autor(en): Bode, Richard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Heppe, Ernst von
Kupsch, Gustav
Wiskemann, Heinrich
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Stadttheater <Nürnberg>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1846051147

Spohr



Das in diesem Brief erbetene Zeugnis von Spohr für Kupsch ist derzeit nur als Entwurf auf dem Autograf dieses Briefs überliefert.

[1] Vgl. Heinrich Wiskemann an Spohr, 05.05.1846.

[2]entriren, fr. auf Etwas eingehen, sich einlassen, antreten, versuchen“ (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörterbuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 174).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.07.2023).