Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Staehle:4
Druck: Hugo Staehle. Dokumente zu Leben, Werk und Wirkung des hessischen Komponisten, hrsg. v. Johannes Volker Schmidt (= Studien und Materialien zur Musikwissenschaft 104), Hildesheim u.a. 2019, S. 90ff.

Hochgeehrter Herr Kapellmeister!

Sie haben zu den vielen mir gegebenen Zeichen Ihres Wohlwollens und Ihrer Güte ein neues durch die Aufführung meiner Symphonie in einem der Abonnementsconcerte hinzugefügt1, so daß ich mich gedrungen fühle, Ihnen nochmals meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Sein Sie versichert, daß dies tiefe Gefühl der Dankbarkeit gegen Sie, meinen hochverehrten Lehrer, nie in meiner Seele(?) verlöschen wird, sondern daß ich, der ich Ihnen doch so vieles zu verdanken habe, nichts Angenehmeres kenne, als Ihnen wiederholt zu sagen, wie sehr ich Sie schätze, wie sehr ich Sie verehre. – Es that mir unendlich leid, dem Concerte nicht beiwohnen zu können, zumal ich die Symphonie noch nicht vollständig gehört habe; allein da ich glaube, sie vielleicht in einem der hiesigen Gewandhausconcerte zur Aufführung bringen zu können, so unterließ ich aus diesem Grunde eine Reise nach Cassel. Ich habe nun die Symphonie schon vor mehreren Wochen an die Direktion des Gewandhausconcerts geschickt, habe aber bis jetzt noch keine bestimmte Antwort erhalten. Ich glaubte auf die gütige Unterstützung der Herrn Hauptmann und David bei dieser Angelegenheit rechnen zu dürfen, allein darin hatte ich mich getäuscht, indem beide Herrn sich nicht gern damit befassen konnten, oder vielleicht auch nicht wollten, sondern mich auf mein Werk hinwiesen. Da nun nicht mehr sehr viele Concerte sein werden, so habe ich wenige Hoffnung für eine Aufführung in Leipzig, doch muß ich es erst noch abwarten.
Wie ich gehört und gelesen habe, so ist Ihre neue Oper mehrmals in Cassel mit außerordenlichem Beifall gegeben worden; ich hätte sie so gerne gehört, tröste mich jedoch mit dem Gedanken, daß ich nun bald des Genuß habenwerde sie zu hören, indem mein Aufenthalt hier in Leipzig nur noch von kurzer Dauer sein wird, wo ich denn nach Cassel zurückkehren werde.
Heute Abend spielt hier ein junger, sehr talentvoller Violinspieler aus Hamburg, Otto Königslöw, Ihr herrliches emoll Concert (Nr. 7.) Die beiden letzten Sätze spielt er recht hübsch, (ich habe ihn in der Probe gehört), doch hat er den ersten nicht ganz richtig aufgefaßt; er wechselt darin so oft die tempis und besitzt auch nicht die gehörige Keckheit(?) und Kraft, was vielleicht auch die Folge von einiger Aengstlichkeit ist, indem er noch sehr wenig vor einem größeren Publikum gespielt hat.
Schließlich habe ich noch eine Bitte an Sie, verehrter Herr Capellmeister, nehmlich um ihr aufrichtiges Urtheil über meine Symphonie, und was Sie davon denken; ich würde diese Bitte nicht gewagt haben, wenn ich nicht wüßte, wie gern Sie es übernehmen, mir das Mangelhafte, was in meinem Werk ist, zu zeigen und mich darüber zu belehren; und wenn ich nicht wüßte, wie viel einem jungen Componisten daran gelegen sein muß, über die Schwächen in seinen Arbeiten, die er sehr häufig übersieht, von erfahrenen Meistern unterrichtet zu werden.
Indem ich Sie bitte, mir so bald es Ihre Zeit erlaubt, einiges darüber zu schreiben, und mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin aufs Beßte zu empfehlen, verbleibe ich

Ihr
ganz ergebenster Schüler
Hugo Staehle

Leipzig, den 6 Februar.
1845.

Meine Adresse ist:
Kleine Windmühlengasse, Nro 10.
im Garten bei Mdm. Martin

Autor(en): Staehle, Hugo
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: David, Ferdinand
Hauptmann, Moritz
Königslöw, Otto von
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Konzerte, Vl Orch, op. 38
Staehle, Hugo : Sinfonien, B.1.a.2
Erwähnte Orte: Kassel
Leipzig
Erwähnte Institutionen: Gewandhausorchester <Leipzig>
Hofkapelle <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845020640

Spohr



Der letzte Brief dieser Korrespondenz ist Staehle an Spohr, 29.11.1844. Dieser Brief scheint der späteste Brief dieser Korrespondenz zu sein.



[1] Vgl. O[tto] K[raushaar], „Cassel, im Januar 1845”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 47 (1845), Sp. 256-260, hier Sp. 257; „Aus Cassel”, in: Neue Zeitschrift für Musik 22 (1845), S. 78ff., hier S. 79.



Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (23.05.2016).