Autograf: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main (D-F), Sign. Mus. Autogr. A. Schmitt A 151

Seiner Wohlgeboren
Herrn Capellmeister Spohr
Cassel.

fro.1


Frankfurt den 22ten August 1844.

Hochverehrter Freund!

Für heute etwas, was Sie nicht vermuthen, und Sie werden den Grund, warum ich mich gerade an Sie wende, doch errathen, auch wenn ich Ihnen nicht weiter darüber sagen würde.
Mein Aloys scheint einer der Berufenen in der Kunst zu sein oder vielmehr zu werden und wenn nicht alle Sinne trügen: so wird etwas Ungewöhnliches aus ihm.
Nicht bitte ich mich der Blindheit zu ziehen, denn jeder der mich in meinem Familienleben kennt, weiß: das ich nicht nur kein blinder Vater bin: sondern, das Unmögliche von meinen Kindern verlangt.
Soweit die Vorrede.
Wie war ich vor einigen Wochen überrascht, als ich fast zufällig erfuhr, daß mein Aloys eine Oper2 geschrieben hat. Es ist nämlich eine 1actige und das Script von Scribe: Allerliebst.
Da ich nun recht wohl weiß, wie die ersten Produkte junge Künstler sind, namentlich was das Dramatische betrifft, wo ja mehr(?) Erfahrung dazu nöthig, so ließ ich mir es von meinem Sohne geben, und wollte es durchsehen. Wenn ich auch schon weiß, daß Aloys sehr viel gelernt und eine tüchtige Schule hat (er war – nachdem er schon ganz hübsch kontrapunktirte - 3½ Jahr bei H Vollweiler in Heidelberg) So hatte ich trotz dem ich außerordentlich viel mit ihm gearbeitet hatte – im Ganzen doch nicht viel erwartet, indem ich recht wohl weiß: daß die Aussaat erst später Früchte bringt.
Aloys ist aber in seiner Art ein Mensch, so wenigstens meine Erfahrung stets Neues erfährt, und noch ist mir niemand vorgekommen: bei dem das Wort leichter und schneller zur That wird, als bei ihm.
Kurz, als ich seine Arbeit durchsah, war ich erstaunt und werde es immer mehr, je mehr ich sie3 durchsehe. Unser Studium, was Dramaturgie angebalnt, sein vieles Hören guter Werke war nicht ohne Nutzen, und wo der Junge die Erfahrung und die Leichtigkeit zu schreiben herhat, weiß Gott!
Wär‘ es nicht mein Sohn, so könnte mich’s entmuthigen, künftighin selber den Griffel noch anzusetzen.
Ich frug ihn, als ich es angesehen, und die Ouverture noch vermißte, wo diese sei? „Sie sei noch nicht geschrieben“ antwortete er mir; worauf ich ihm sagte: daß er diese doch noch fertig machen möge. Dieß war morgens früh. Nach Tische brachte er mit den Entwurf, ganz gut schrieben, ohne eine Note auszustreichen. Als ich ihn frug, wie so es käme, daß er die Ouverture so schnell gemacht habe, so antwortete er mir: er habe sie schon im Kopfe gehabt, u. nur aufzuschreiben brauchen. Auch die Ouverture ist gut u. entspricht dem Ganzen.
Wie sehr haben wir bedauert, Sie auf Ihrem Rückwege von Paris nicht gesehen u. gesprochen zu haben. Es war Ihnen in meinem Hause ein kleines Fest zugedacht, jedoch kamen Sie leider nicht.
Mit meinem Osterfeste können Sie mir wohl noch nichts Entscheidendes sagen, ob und wann es dort zur Aufführung kommt.4 Der edle Freund wird sagen.
In der nächsten Messe wird das Osterfest hier wieder gegeben und ein neuer Sänger (Herr Gundi) wird die Rolle des Herr Pischek5 übernehmen. Er wird einen umso schwereren Standpunkt haben, indem hier das Losungswort: Pischek ist und bleibet, und Herr Gundi der zwar herrliche Mittel hat, noch Anfänger ist. Sehr freut es mich, daß man schon jetzt so viel Theilname wieder zeigt, mein Werk wieder zu hören.
Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin viel tausend Empfehlung von mir. Meine Frau ist mit Aloys verreißt, und Aloys wird einige Zeit in Heidelberg bei Herrn Vollweider bleiben, wo den wieder tüchtig gearbeitet wird unter der leitung des H Vollweider.
Einer recht baldigen freundlichen Antwort entgegensehen, bin und bleibe ich fortan mit der größesten Verehrung Ihr treuergebener

Freund Aloys Schmitt.

An Frau von Malsburg bitte ich, wenn Sie sie sehen, viele Empfehlungen von mir ausrichten zu wollen.

Auch meine neue Oper („die Tochter der Wüste“ von Roderig Benedix ist so gut wie fertig, u. ich setze große Hoffnungen darauf, um so mehr, da das Buch vortrefflich ist, und die Arbeit gelungen zu sein scheint.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 20.03.1844. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 06.12.1844.

[1] Auf dem Adressfeld befinden sich noch die Poststempel „Frankfurt / 22 / AUG / 1844 / 6-6“ und „23 AUG 1844“.

[2] Trilby (vgl. Schmitt an Spohr, 15.02.1846).

[3] „sie“ über gestrichenem „seiner Arbeit“ eingefügt.

[4] Es gelang Spohr nicht, das Osterfest auf den Spielplan zu setzen (vgl. Spohr an Georg Müller, 25.12.1844).

[5] Vgl. „Frankfurt“, in: Frankfurter Konversationsblatt (1843), S. 1340

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (02.04.2020).