Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

franco destination

Monsieur
Monsieur Spohr maître de chapelle
à
Hesse-Cassel
en Allemagne

franco1


Genf den 2ten April 1844.

Hochverehrtester Herr Kapellmeister!

Nehmen Sie zu Ihrem Geburtstage meine allerherzlichsten Wünsche an. Unmöglich kann ich den Tag vorübergehen lassen ohne Ihnen geschrieben zu haben wie sehr ich Sie verehre und wie theuer u lieb Sie mir sind.
Seit September bin ich hier in Genf am französischen Theater und es geht mir so weit erträglich; allein von deutscher Musik bin ich fast ganz abgeschnitten u da mir gute Musik Bedürfniß ist, ich hier aber nur größtentheils fade französische u italienische Musik zu hören bekomme, so befinde ich micht nich so wohl als ich wünsche.
Von Herrn Weidemüller den ich im vergangenen Sommer in Luzern traf, erfuhr ich, dass Sie wieder eine Reise nach London gemacht hätten. Dies ist die einzige sichere Nachricht die ich seit der Zeit über Sie erhalten habe. Denken Sie sich daher meine Sehnsucht, etwas Näheres von Ihnen zu erfahren. Wenn Sie mir daher die unbeschreibliche Freude machen wollten, mir ein Paar Worte zu erwiedern, ich wüßte nicht was ich vor Freude anfangen würde.
Ich habe öfter hier gespielt u war der erste der ihr 12tes Concert mit Orchester spielte. Man hat es für ein außerordentliches Werk u bewunderungswürdige Composition gefunden. Auch Ihr Duo-Concert für Violin u Cello aus Jessonda2 habe ich mit einem sehr tüchtigen Violoncellist namens Giese, der vor wenigen Tagen als Solocellist an das königliche Theater im Haag nach Holland abgereist ist, mit vielem Beifall gespielt u im nächsten Concert das erst nach Ostern ist, spiele ich ein Potpourri von eigener Composition. Überhaupt war ich ziemlich fleißig hier in Genf. Es sind mehrere Sachen von mir sowohl im Theater als im Concert gemacht worden u man hat sie wohl aufgenommen; leider aber sind es nur Gelegenheitscompositionen u ich halte sie nicht werth Ihnen zur Ansicht zu schicken. Wenn mir aber etwas besseres gelingt, so haben Sie wohl die Güte es durch zu sehen?
Der Aufenthalt in Genf ist mir zur Erlernung der französischen Sprache nützlich, ich mache Fortschritte darin u hoffe sie mir ziemlich anzueignen. Außerdem ist es in Genf schön. Man hat den See mit der Schore3, das ferne Gebirge u die Savoie4 & Idillische Alpen u dann den Montblanc u seine Umgebung u überaus reizende Partien. Leider dauert das Theater nicht viel über ein halbes Jahr u die dadurch gesicherte Stellung hört dann auf u man muß sich den Sommer über mit Unterricht durchhelfen. So giebt es denn oft trübe Zeit. Sollten Sie daher einen Platz für mich wissen, dem ich gewachsen bin, so bitte ich Sie recht sehr, an mich zu denken u mir oder meinen Eltern, die immer wissen wo ich bin, Nachricht zu geben. Ich lege Ihnen dieser Bitte recht ans Herz Herr Kapellmeister, vergessen Sie mich nicht!
Ueber Herrn Medizinalrath5 habe ich in der letzten Zeit zu meiner Betrübniß erfahren, daß er immer leidend sei. ich kann mir Ihren Schmerz dabei denken. –
Noch erlaube ich mir, Sie zu bitten Herrn Weidemüller zu sagen, daß es keine Schwierigkeit habe einen Platz für seinen Bruder in der Schweiz zu finden, allein nur für den Winter u da alle Theater im Sommer aufhören, so trüge ich Bedenken ihn zu einer Reise in die Schweiz zu verleiten. Wollte er die Schweiz sehen u kennen lernen, so könnte ich ihm leicht dazu verhelfen, ihm aber einen beständigen Platz zu verschaffen, daß sie mir unmöglich u eben dieses habe mich abgehalten ihm zu schreiben.

Mich Ihnen u Frau Kapellmeister bestens empfehlend, werde ich nie auffhören Sie zu verehren u Ihr dankbarer Schüler zu sein.

Ferdin. Böhme.

Autor(en): Böhme, Ferdinand
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Giese, Joseph
Spohr, Carl Heinrich
Weidemüller (Bruder von Heinrich Weidemüller)
Weidemüller, Heinrich
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Konzerte, Vl Orch, op. 79
Spohr, Louis : Potpourris, Vl Vc Orch, op. 64
Erwähnte Orte: Genf
Erwähnte Institutionen: Theater <Genf>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1844040239

Spohr



Das letzte Schriftstück dieser Korrespondenz ist Spohrs Zeugnis für Böhme, 02.02.1842. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Böhme an Spohr, 30.03.1845.

[1] In der Mitte des Adressfelds befindet sich der Poststempel „GENEVE / 3 / [Avril]“, am rechten Rand des Adressfelds der Stempel „P.P.“.

[2] Potpourri op. 64.

[3] Schor = hier wohl Ufer (vgl. Lemma „Schor, n., Schorre, f.“ , in: Deutsches Rechtswörterbuch (DRW) [Online-Version]).

[4] Savoyen grenzt an den Kanton Genf.

[5] Spohrs Vater Carl Heinrich Spohr praktizierte als Bezirksarzt in Böhmes Geburtsort Gandersheim.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (02.10.2020).