Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.3 <Zahn 18430703>

London den 3ten
Juli 1843.

Geliebte Emilie,

Schon in Cassel mit der Ida1 zugleich, wollt ich an Dich schreiben, oder wenigstens einen Brief beginnen, aber ich kam über den Troubel den die Vorbereitungen zur Reise machten und bey der Spannung in der ich war, ob der Prinz neue Hindernisse wegen des Urlaubs ersinnen werde, nicht dazu. Endlich glücklich heute vor 8 Tagen, hier angelangt, stürmten gleich eine solche Menge an Geschäften auf mich ein, daß ich erst heute eine ruhige Stunde finde, mich mit dir zu unterhalten.
Da ich vorigen Herbst, wie du weißt, die Aufführung meines Oratoriums in Norwich nicht beywohnen konnte, so war es schon damals mein Wunsch in diesem Jahr, während der Saison, in London eine solche zu erleben. Kaum hatte ich Herrn Tailor diesen Wunsch ausgesprochen, als er auch so gleich Veranstaltungen traf, denselben zu realisieren. Man kam ihm dabey von allen Seiten auf das freundlichste endgegen und schon vor 2 Monaten schickte er mir eine lange Liste2 von Sängern und Musikern, die sich erboten hatten unentgeltlich dabey mitzuwirken, so daß jetzt wirklich von dem imposanten Orchester gar niemand und von dem Chorpersonal nur die Unbemittelten zu bezahlen sind. Zugleich erhielt ich von der Philharmonischen Gesellschaft den Auftrag3, in ihrem letzten Concert zu spielen und einige meiner Kompositionen zu dirigieren, so daß ich hoffen darf, die Kosten der allerdings sehr kostspieligen Reise zu erübrigen; denn wir beabsichtigen auch noch einen Ausflug in das Land, vielleicht bis Liverpool und Wales zu machen. Daß Frau von Malsburg und Marianne mich wieder begleitete, wird dir Ida geschrieben haben. Wir haben nun in den 8 Tagen unseres hiesigen Aufenhaltes schon viel Interessantes gesehen und erlebt. Am erfreulichsten war mir die ehrenvolle Aufnahme, die ich allenthalben fand. Bey einem Glee-Verein, dem der Herzog von Cambridge präsidierte, wo diniert und bey dem Desert gesungen wurde, erzeigte mir der Präsident die Ehre einen Toast auf mich auszubringen, bey welchem er unter anderem sagte „dieser Tag wird in die Analen unserer uralten Gesellschaft stets ein glänzender seyn, da wir die Ehre haben den größten Komponisten Europas in unserer Mitte zu sehen p.p.“4 Eben so ehrend und enthusiastisch war der Empfang, den ich in der vorgestrigen Probe zum heutigen Phil. Concert fand.5 Das Klatschen und die Zurufe der Musiker und des Puplikums (denn der Saal war voller Zuhörer) wollten gar nicht enden. Sowohl mein Spiel wie auch die Sachen, die ich dirigierte (Ouverture aus dem Alchymist, 4te Sinfonie „die Weihe der Töne„ und das Blumenduett aus Jessonda) fanden den enthusiastischen Beyfall und daß ersteres so ansprach, darf mich wohl freuen, da Ernst und Sivori, die beyden gefeiertsten der jungen Geiger jetzt hier sind und vor mir sehr oft ordentlich gespielt haben. Allein die Engländer halten an der guten alten Schule viel fester als die anderen europäischen Nazionen und was sich der Viotti'schen Schule annähert, steht ihnen am höchsten. So habe ich denn, ohne es zu erwarten, den Sieg über diese jungen Tausendkünstler davon getragen.6 Von dem was wir hörten, war mir eine Soirée bey Bennet, wo dieser, Moscheles Dreischock, Halle, Benedikt und andere berühmte und bewunderte Clavierspieler wetteiferten7, das interessanteste, von dem was wir sahen war es Windsor, ein wahrhaft königl Riesenschloß mit unerhörtem Reichtum im Inneren.8 Meinen Damen hat aber der gestrige Tag am besten gefallen.9 Wir waren bey dem Redacteur10 der Times zu einem Concert, dessen beyde Theile durch ein Dejeuné oder besser Diner getrennt waren, eingeladen, bey welchem alle berühmten Instrumentalisten Londons zugegen waren. Es wurden nur Kompositionen von mir executirt und zwar vor Tische 1.) erstes Doppelquartett von Blagrove gespielt, 2.) Pianoforte-Quintett mit Blasinstrumenten, von Moscheles gesp. 3.) Nonetto, von mir gespielt. Nach Tische 4.) Quintett in h moll, von mir gesp. 5.) Ottetto, (welches Marianne zum ersten Mal hörte) und zum Schluß das 3te Doppelquartett, welches ich selbst spielte. Alle diese grossen und schweren Kompositionen gingen bis auf kleine Versehen ganz vortrefflich und man hörte deutlich, daß die Ausübenden durch häufige Aufführungen sehr vertraut damit waren. Was mich aber besonders erfreute, war das Eingehen der Zuhörer in die Einzelheiten der Komposition und man sah es ihren Mienen und hörte es ihren Äußerungen an, daß sie die Feinheiten der Arbeit begriffen. Mit Ausnahme von einigen tüchtig musikalisch gebildeten Diletanten, waren aber auch alle 50 Zuhörer berühmte Künstler und Komponisten. Von einigen der Sachen waren sogar Partituren vorhanden, die fleißig nachgelesen worden. Daß ist bey Tische nicht an Reden fehlte, in denen ich über die Gebühr hochgestellt wurde, wirst Du bey einem englischen Diner schon voraussetzen. Am meißten waren aber Marianne und Fr. von Malsburg über die ächt englische Pracht des Hauses und der Einrichtung desselben dieses Pinhas von London entzückt und es gränzte dieselbe wirklich an das Feenhafte! – Die Aufführung des Oratoriums findet nächsten Freitag statt. Unsere Ausflucht auf das Land beginnen wir heute oder morgen über 8 Tage. Bis dahin ist jeder Tag mit 2 bis 3 verschiedenen Einladungen aufgefüllt und, ich begreife kaum, wie wir es durchführen wollen! Wir wohnen wieder bei Taylor's denen wir das Töchterchen11, die 5 Monate in Cassel war, zurückgebracht haben. Über Cassel wird dir Ida ausführlich geschrieben haben, da ich ihren Brief aber nicht gelesen habe so weiß ich nichts hinzuzufügen. – Mit Sehnsucht sehen wir nun recht baldigen Nachrichten von Dir und den Deinigen entgegen. Hoffentlich werdet Ihr alle drei mit Euren Krankheiten dem dortigen Clima nun Euren Tribut abbezahlt haben und nun recht gesund bleiben! Schreib uns ja recht ausführlich über alles was Euch angeht und grüße Zahn und unser gutes Thalchen auf das herzlichste von mir, Marianne und Fr. von Malsburg.
Lebe recht wohl.

Mit inniger Liebe
Dein Vater
Louis Spohr.

Nachschrift am 9ten
Da die Absendung des Briefes sich verzögert hat, so kann ich dir nachträglich noch melden, daß durch den Jubel, mit dem mein Spiel und meine Kompositionen im Ph. Concert aufgenommen wurden, veranlaßt, die Königin den Wunsch ausgesprochen hat, mich auch in einem großen Concert zu hören und daß deshalb morgen noch ein Extraconcert d.Ph.G. stattfinden wird, in welchem ich spielen und dirigieren werde.12 Dem Prinz Albert wurde ich auf seinen Wunsch vorgestellt und höchst freundlich von ihm empfangen. – Das Oratorium ging vortrefflich, war aber nicht so besucht wie ich gehofft hatte, da sich schon die Nachricht in der Stadt verbreitet hatte, daß ich vor der Königin spielen würde und nun jeder lieber dort hingehen wollte. – In einigen Tagen treten wir eine 7tägige Reise ins Land an, kehren am 19ten zurück, um Tags darauf den Rückweg nach Cassel zu beginnen. – Lebe nochmals wohl!



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Zahn, 15.03.1843. Zahns Antwortbrief vom 15.09.1843 ist derzeit verschollen.

[1] Spohrs Tochter Ida, verh. Wolff.

[2] Vgl. Edward Taylor an Spohr, 26.04.1843.

[3] Vgl. William Watts an Spohr, 30.01.1843.

[4] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 29.06.1843.

[5] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 01.07.1843.

[6] Vgl. Spohr an Adolph Hesse, 28.08.1843, Anm. 9.

[7] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 26.06.1843.

[8] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 28.06.1843.

[9] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 02.07.1843; Louis Spohr, Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 279; [Charlotte Moscheles], Aus Moscheles' Leben. Nach Briefen und Tagebüchern, Bd. 2, Leipzig 1873, S. 103.

[10] Thomas Massa Alsager.

[11] Margaret Taylor.

[12] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 07.07.1843.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Neele Nolda (05.05.2020).