Autograf: Archiwum Państwowe w Szczecinie [Staatsarchiv Stettin] (PL-Sap), Sign. Zbiar Loewego Nr. 3
Druck: Martin Ruhnke, „Loewe und Spohr“, in: Carl Loewe 1796 - 1869. Bericht über die wissenschaftliche Konferenz anläßlich seines 200. Geburtstages vom 26. bis 28. September 1996 im Händel-Haus Halle, hrsg. v. Konstanze Musketa (= Schriften des Händelhauses in Halle 13), Halle 1997, S. 387-410, hier S. 387 und 388 (teilweise)
Beleg: Autographen-Sammlung enthaltend Musiker-Briefe und Musik-Manuskripte aus dem Nachlasse des berühmten Komponisten Louis Spohr (1784-1859) nebst Beiträgen aller Art (Fürsten,Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, Künstler, etc.) aus dem Besitz eines bekannten Berliner Sammlers. Versteigerung zu Berlin Montag, den 15. und Dienstag, den 16. Oktober 1894 (= Katalog Liepmannssohn), Berlin 1894, S. 56

Sr. Wohlgeboren
dem Herrn Kapellmeister Dr Spohr
zu
Cassel

frei.


Wohlgeborner Herr!
Hochzuverehrender Herr Kapellmeister!

Höchst erfreulich war mir Ihre liebenswürdige Zuschrift. Wie sehr ich wünsche, daß Ihr neues, gewiß sehr schönes Oratorium, die Freude der musikalischen Welt ausmache, können Sie sich kaum vorstellen. Es ist der Ausdruck der innigsten Verehrung für Ihre noblen unnd großartigen Geistesproducte, der mir diesen Wunsch abnöthigt. Noch vorigen Winter haben wir hier unter meiner Direction Ihre göttliche d moll Symphonie aufgeführt, und Sie würden Sich über die Ausführung gefreut haben. Nächsten Winter wollen wir Ihre neue vornehmen, von der ich mir Unerhörtes verspreche. Sie sind ja der Stolz und Hauptfreund der musikalischen jetzt lebenden Autoren, die Achse und der Pol unsrer Bestrebungen. Ihr Oratorium habe ich hier in zwei Blättern empfohlen, in der Stettiner Zeitung1 und im Intelligenzblatte2. Ich kann Ihnen aber nur meine Wenigkeit, und die Subscription meiner Freundin und Verehrerin Ihrer Werke, „die Frau Geheimräthin Tilebein“ zu Ihrer Sammlung offeriren, da sich sonst noch Niemand gefunden hat. Unabläßig werde ich aber privatim bemüht sein, für Ihr Werk zu werben, und Ihnen den Erfolg gelegentlich mittheilen. Herrn Dohrn habe ich auch gesprochen, (den Vater) er dankt Ihnen auf das Verbindlichste für die Nachfrage, die Sie wegen des Sohns (August Dohrn) an denselben haben gelangen3 lassen. Derselbe ist gegenwärtig in Algier, und hat seine juristische Laufbahn aufgegeben, um sich dem Generalsstande zu widmen. Er hat Frankreich, England, Spanien etc. durchreist, und befindet sich wohl.
Zürnen Sie mir nicht, würdiger Meister, daß ich erst jetzt Ihre mir sehr theure Zuschrift beantworte. Ich hoffte noch immer täglich, Ihnen ein günstigeres Resultat von Subskribenten melden zu können, aber – – die Zeit – – die Zeit! – – die sonderbare Zeit, die nur das Alte will und das neue, wären es auch Messiaden, nicht mag! Wenn Sie Hundert Jahre älter wären! „Der Rost macht erst die Münze werth“, sagt Proteus im Faust4; damit haben jetzt alle Talente zu kämpfen. Es wird nicht besser, es wird vielmehr immer schlimmer für die deutschen Meister! In der Oper muß es weit her sein, im Oratorium muß es uralt sen. Die Kammer und das Lied bleibt uns noch, weil weder Fremdes noch Altes darin vorhanden ist. Den Dirigenten binden die aristokratischen und republikanischen Gesangvereine die Hände, und für die Kunst ist nur das romantische Prinzip ersprießlich.
Ich gedenke in diesem Sommer eine Rheinreise zu machen, und etwa den 12ten August5 in Cassel, und vor allem bei Ihnen zu sein! Abel, Ihr Schüler, hat mir viel von Ihnen erzählen müssen; er hat hier Concert gegeben, und man hört, daß er Ihr Schüler ist. An dem Tode Ihrer trefflichen Gemahlin nahm er, wie wir alle, den innigsten und bedeutendsten Antheil! Wie freue ich mich, Sie zu sehn! Ihnen vielleicht auch etwas von meiner Leistung mittheilen zu dürfen, und auch vielleicht etwas von Ihnen zu hören. Wenn Sie es der Mühe werth hielten, so wäre ich nicht abgeneigt, in einer Abendunterhaltung in Cassel meine Balladen vorzutragen. Ich brauche dazu weiter nichts, als einen guten Flügel u. ein dem zuhörenden Personale entsprechendes Locale. Vielleicht, daß durch eine Subscription nach dem üblichen Concertpreise die Sache durch Ihre, wenn auch nur indirecter Vermittlung eingeleitet würde. Ich überlasse es Ihnen ganz und gern, thun Sie, wie Sie darüber denken. Einen längeren Aufenthalt könnte ich mie darum nicht erlauben, weil meine Zeit des Urlaubs sehr beschränkt ist. Ein kleiner Krei[s] von Gönnern, unter denen Sie wären, wäre mein[e] größte Aufmunterung und Belobung!
Genehmigen Sie, Hochzuverehrender Herr Kapellmeister! die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung und Verehrung, in welcher ich die Ehre habe verharren zu dürfen
Ew. Wohlgeboren

ganz ergebenster Dr Loewe, Musikdirector
Stettin, den 6t Juli 1835.

Autor(en): Loewe, Carl
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Abel, Amadeus
Dohrn, Carl August
Dohrn, Heinrich
Spohr, Dorette
Tilebein, Auguste
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Spohr, Louis : Sinfonien, op. 49
Erwähnte Orte: Algier
Stettin
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1835070644

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohrs Subskriptionsaufruf für sein Oratorium Des Heilands letzte Stunden, dessen an Loewe gerichtetes Exemplar derzeit verschollen ist. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Loewe an Spohr, 06.09.1835.

[1] Noch nicht ermittelt.

[2] Noch nicht ermittelt.

[3] Hier gestrichen: „wollen“.

[4] Nicht Proteus, sondern Thales (Johann Wolfgang von GoetheFaust II, 2. Akt, Szene Felsbuchten des Ägäischen Meeres) (vgl. Ruhnke, S. 388, Anm. 632).

[5] „August“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (14.11.2019).