Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr Wohlgeboren
dem Herrn Hof-Capellmeister Spohr
zu
Cassel

franco1


Lieber bester Herr Capellmeister!

Vor 14 Tage fuhr ich hier aus in der Absicht Sie zu besuchen, in Paderborn überfiel mich aber eine Augenentzündung, sah mich daher gezwungen wieder zurückzufahren, Gestern konnte ich aber schon unser Conzert wieder dirigieren. Bereits sehe ich schon drei Briefe in meinem Schreibpult liegen, welche für Sie geschrieben waren, indeß wagte ich’s nie einen abzuschicken, weil ich befürchtete daß Ihnen die Zeit kaum erlaubte einen Bogen voll2 von mir zu lesen. Jezt lieber Herr Capellmeister müßen Sie mir aber erlauben, daß ich Ihnen so kurz wie möglich schreibe wie mir’s hier geht. Ich kann wirklich nicht anderst3 sagen, als daß ich hier in den angenehmsten Verhältnissen lebe, u. mich in pecunierer Hinsicht sehr gut stehe. Mein Gehalt ist 490 Thaler (Berliner) u. diesen Winter gab ich 4 Conzerte welche mir auch 300 Thaler eintrugen, wen ich nun noch täglich 2 Stunde gebe, so habe ich wenigstens ein Einkommen von 1000 Thaler. Reisen kann ich wann ich will, u. bin vorigen Winter 2 Monathe abwesen gewesen, wo ich in Cöln4, Düsseldorf, Crefeld u. Elberfeld Conzert gegeben habe, aber schlechte Geschäfte war der Erfolg, doch glaube ich künftiges Jahr gute Conzerte in diesen Orten zu machen, weil mich der rheinische Musikverein eingeladen hat Pfingsten in Elberfeld zu spielen. (Jephta von Haendel wird am ersten Tage gegeben u. am 2ten Tage: Sinfonie von Beethoven, Concertante für 2 Vio. von – Herrn Capellmeister Spohr vorgetragen von Schäfer in Dortmund u. Schmidt, Ouverture aus dem Freyschütz, Cantate von Mozart5 etc) Trotz dem daß mir’s hier so sehr gefällt, muß ich Sie sehr um Ihren gütigen Rath bitten, wie ich’s mit Coburg machen soll, wo ich mein Verhältniß noch nicht aufgegeben habe, aber versprochen habe bald6 zurückzukehren. Es wird mir komisch vorkommen wenn ich nach Coburg zurückgehen sollte, unter Schneiders Direction zu stehen, da ich hier das Regiment führe, wo die Saiten-Instrumente bei weitem vorzüglicher sind wie in Coburg. In Hinsicht des Gesanges haben wir hier Mittel wie wenige Städte, der Chor ist wenn alle Antheil nehmen 80 Personen stark, unter denen vorzügliche Stimmen sind. Wir haben 4 Tenore welche wirklich als Künstler viel Glück machen würden, 2 vorzügliche Baßstimmen u. mehrere tüchtige Sopranistinnen u. eine ausgezeichnete Altstimme.
Der allgemeine Wunsch ist hier, daß Sie uns doch mal besuchen möchten, ich bin so gar schon so verwegen gewesen es auf mich zu nehmen, Sie zu bewegen im Fall Sie Amsterdam besuchten, auch uns zu beglücken. Sie müssen mir ’s auch versprechen lieber Herr Capellmeister zu uns zu kommen, die Münsteraner werden alles aufbieten Ihnen den Aufenthalt so angenehm zu machen wie möglich u. zwei vorzügliche Conzerte garantire ich Ihnen. Wolfram, die Kainz u. Romberg haben hier außerordentliche Geschäfte gemacht, indeß hat die Kainz nicht gefallen, Wolfram welcher 3 Conzerte gab gefiel mir auch nicht, u. Romberg muß ich zu meiner eigenen Schande geschehen hat mir auch nicht genügt.
Jezt lieber Herr Capellmeister schließe ich noch mit einer sehr dringenden Bitte, ich bin nemlich beauftragt eine Harfe kommen zu lassen, wo werden die vorzüglichsten gemacht? u. könnten Sie mir nicht eine Adresse mittheilen? – ich habe 2 Schülerinnen, die Herzogin von Looz u. die Grafinn von Aichholt, Erstere hat eine Harfe von Bäcker7 in Paris. Erlaubt es Ihnen irgend die Zeit so glücken Sie mich mit ein paar Zeilen.
Hochachtungsvoll empfele ich mich Ihrer werthen Frau Gemalin u. Töchtern bestens u. bin

Ihr
ewig dankbarer Schüler
Georg Schmidt.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmidt an Spohr, 02.08.1822. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmidt an Spohr, 08.07.1823.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „MÜNSTE[R] / 4. MAI“, auf der Rückseite des gefalteten Briefumschlags befindet sich der Stempel „8(???)MAY“.

[2] „voll“ über der Zeil eingefügt.

[3] Sic!

[4] Vgl. „Köln“, in: Kölnische Zeitung 21.01.1823, nicht paginiert.

[5] Laut Programm (vgl. [Wilhelm Hauchecorne], Blätter der Erinnerung an die fünfzigjährige Dauer der Niederrheinischen Musikfeste, Köln 1868, S. 7) eine Kantate „Sieh, Heilige“, wohl eine Bearbeitung (vgl. Karl Gustav Fellerer, Studien zur Musik des 19. Jahrhunderts, Bd. 1, Musik und Musikleben im 19. Jahrhundert (= Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 60), Regensburg 1984, S. 110).

[6] „bald“ über gestrichenem „jezt“ eingefügt.

[7] Vermutlich der Harfenvirtuose Casimir Baecker.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.02.2022).