Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,31
Druck: Till Gerrit Waidelich, „Die Beziehungen zwischen Carl Maria von Weber und Louis Spohr im Spiegel ihrer Korrespondenz“, in: Weberiana 24 (2014), S. 117-144, hier S. 129 (teilweise)

Dresden den 2ten
Nov. 21.
 
Herzlich geliebter Freund,
 
Ihren Brief mit der Einlage habe ich vorgestern bey unserer Ankunft sogleich von C.M. v. Weber erhalten, nun beeile ich mich ihn zu beantworten, da Sie das Lied sobald wie möglich zurück zu erhalten wünschen. – Dieses Lied mit dem Sie so wohlthätige, liebenswürdige Absichten haben, bin ich mehreremal recht aufmerksam durchgegangen und will Ihnen nun meine Bemerkungen darüber mittheilen. Im Ganzen genommen gefällt es mir sehr wohl; es hat mehrere tief empfundene und glücklich wiedergegebene Stellen, größtentheils fließende ausdrucksvolle Gestaltung und richtige Deklamation; allein für ein Lied scheint es mir zu weit auseinandergedehnt, mit zu vielen und zu langen Zwischenspielen durchwebt, wovon einige sogar Zusammenhange des Textes stören (wie bey: die von mir mit x bezeichneten Stellen. Das Orgelzwischenspiel, so gut es auch an sich ist, ist doch im Verhältnis zum Ganzen zu lang. – Am wenigsten gefällt mir das Allegro ma non troppo, in dem die Rhytmen zu unsymetrisch und einigemal auch zu wenig zusammenhängend sind. Auch sind einige Stellen darin, die zum Theil zu bekannt sind, wie z. B. vom 5ten bis 10ten Takt, die Note für Note aus der Schöpfung ist, zum Theil auch nicht edel genug wie folgende [Nbs] – Dann gefällt es mir nicht, daß Sie in diesem Allegro einmal die Taktart wechseln. Ferner scheint mir die Stelle: da werd' ich mit dir zu oft wiederholt, so wie auch im letzten Allegro die Textwiederholungen wohl zu viele sind. Einige wenige Unreinheiten in der Harmonie sind Ihnen auch entschlüpft, wie auf der ersten Seite in der letzten Reihe im vorletzten Takte die octaven [Nbs] Im letzten Allegro auf der letzten Seite wäre die Stelle beym stringendo wohl besser so heißen: [Nbs] Allein der nun folgende 6te accord folgt nicht gut auf den 5/6 accord, womit diese Stelle schließt.
Dieß wären die Bemerkungen, die ich Ihrem Verlangen gemäß, Ihnen unverhohlen mttheile. Ich wiederhole, daß das Lied sehr schöne Stellen hat und daher umso mehr verdient von kl. Mängeln gereinigt zu werden.
Ihren Vorsatz, es stechen zu lassen und zum besten der Armen zu dediciren, lobe ich sehr; nur glaube ich, Sie würden diesen Zweck in größerem Maaße erreichen wenn Sie noch einige Lieder dazu machten und gemeinschaftlich zum besten der Armen herausgäben. Ein einzelnes Lied scheint mir zu wenig. Daß ich mit Freuden eine Anzeige und mit gutem Gewissen auch eine lobende dazu machen werde, wenn Sie dieß dem Unternehmen zuträglich glauben, versteht sich von selbst.
Für die guten Nachrichten, die Sie mir über die Aufführungen meiner Opern geben, danke ich Ihnen herzlich. Ich habe nicht übel Lust nächsten Januar wieder eine Oper zu schreiben und bereits ein gutes Sujet in petto.1 Nur muß ich mir erstmal einen gewandten Dichter suchen der es mir bearbeite. Die rossinische Sündfluht wird sich ja nun wohl bald verlaufen. Unterdessen werde ich zuerst 3 neue Violinquartette schreiben.
Meine Messe ist in Arbeit und wird Weihnachten erscheinen. Ich habe sie 2mal vom Leipziger Singverein und dem Thomaner-Chor gehört und nur weniges zu ändern gefunden.2 – Auf der Reise hieher haben wir gute Geschäfte gemacht und troz der bedeutenden Kosten, die sie verursachte, doch von wenigen Concerten 500 Rth reinen Gewinn mit hieher gebracht. – Der Aufenthalt hier, so wie der Untericht, den meine Mädchen bekommen werden, wird viel kosten. Doch bin ich für ein Jahr vorder Hand mit Geld hinlänglich versorgt und bitte Sie daher mir die Interessen erst nach Ablauf des Jahrs zuzusenden.
Meine Stradivari-Violine hat sich als vortrefflich bewährt und ihr Besitz macht mich sehr glücklich. Sie wird mir dadurch besonders werth, daß ich viel besser wie auf der andern darauf spielen kann und ihr den größten Beifall bey öffentlichen Auftreten, so wie die eigene, größte Zufriedenheit mit meinem Spiel verdanke. Das neue Concert, so wie auch der Quatuor brillant in H moll habe ich nun auf dieser Geige ganz sicher.
Herrn André grüßen Sie herzlich von mir und sagen Sie ihm gefälligst, daß ich das neue Concert in D moll nun entbehren könne und zum Stich geben wolle daß ich jetzt aber kein Violin-Concert für weniger als 150 rth Conventionsgeld verkaufe und für die 2 letzten bereits dieses Honorar erhalten habe.
Erfreuen Sie mich nun recht bald mit einem Briefe. Wir wohnen am Seethor3 Nro 412. Meine Frau und ich grüßen Sie und die lieben Ihrigen auf das herzlichste. Mit inniger Freundschaft stets
 
der Ihrige
Louis Spohr.
 
NS. Ich schicke Ihnen diesen Brief wieder unserer Übereinkunft gemäß unfrankirt und erwarte daß Sie es stets und mit jedem ebenso machen.



Dieser Brief ist die Antwort auf einen verschollenen Brief von Speyer an Spohr. Speyers Antwortbriefe sind ebenfalls verschollen.
 
[1] Jessonda.
 
[2] Vgl. dagegen die Darstellung in Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 122, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbst-Biographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 147

[3] Vgl. W[ilhelm] A[dolph] Lindau, Neues Gemählde von Dresden, in Hinsicht auf Geschichte, Oertlichkeit, Kultur, Kunst und Gewerbe, 2. Aufl, Dresden 1820, S. 27
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.02.2016).