Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Verehrter Freund!

(Wenn ich mich dieses Ausdruckes noch bedienen darf, der ich nach einer so langen Reihe von Jahren weder mündlich noch schriftlich mehr die Freude u das Vergnügen hatte mit Ihnen in näherer Verbindung zu bleiben!)
Ich erlaube mir Ihnen hier ein kleines Produkt meiner Feder zu übersenden, welches seine Entstehung einem seltsamen Zufalle verdankt. Ich hatte mir nemlich das allerliebste Thema des ersten Allegro‘s Ihrer herrlichen „Weihe der Töne“ besonders notirt; u siehe da eine junge Dame1, der ich es zeigte, war gleich so eingenommen dafür, daß sie ganz [???] den Wunsch hegte, ich mögte ihr einen Schluß dazu machen. Diese Auffoderung machte mich lachen, denn es gemahnte mir, wie wenn ich einem abgehauenen Kopfe ein Paar Füße ansetzen2 sollte und daß er wenigstens stehen könnte! Trotz dem vergaß ich die Auffoderung nicht, u gerieth auf die vermessene Idee ... zu diesem wunderschönen Thema, einen, wenn auch hinkenden Mittelsatz auszusinnen(?), u somit ein kleines Tonstück herauszudrechseln, u dieses ist es war ich nun als Veranlassung benutze Ihnen diese Zeilen zu schreiben. Vielleicht fällt Ihr Urtheil gnädiger aus als ich selbst mir denke!
Daß mich der liebe Schöpfer, in Betracht poetischer Anlagen für Musik, nicht ganz leer ausgehen ließ, dies äußerten Sie selbst schon damals wo ich so glücklich war mich in Ihrer Nähe zu sehen. Daß ich diese seitdem nicht unbenutzt ließ, beweist eine ziemlich Parthie von Produckten, die fast alle in Manuscript vorräthig liegen. Sowohl die Urtheile der Kenner als des Publicum‘s beruhigten mich hinlänglich um überzeugt seyn zu können, daß ich mich dieser Arbeiten nicht zu schämen habe; ja sie giengen öfters unter dem Namen großer Meister unvermerkt durch, was mich köstlich amüsirte! Bey wem sie aber keinen Anklang finden, dies sind alle Verleger, denen ich sie anbot, u wahrscheinlich deshalb, weil sie nicht nach der neuern Art, sondern im Geschmacke der klassischen Meister gehalten sind.
Um Ihnen einen Begriff von meinem Vorrathe zu geben, so will ich Ihnen einige Hauptstücke anführen: 7 Symphonien für großes Orchester wovon 4 in Mainz u, unter der Leitung von Alois Schmitt, in Frankfurt zur Aufführung kamen; 4 Ouverturen, von welchen die zu Othello 4 Mal in Berlin hintereinander aufgeführt wurde, 7 Streichquartette, 2 Streichquintette; 6 Trio‘s für Klavier, Violine u Cello; mehrere Klavierwerke; einen ganzen Band von Arien, Romanzen u Liedern; 84 Kirchenmelodien &c.
Sie sehen hieraus daß ich nicht müßig war u wünschte nur Sie einmal wieder hier zu sehen um Ihnen das eine oder das andere meiner Werke vorlegen zu können.
Mit der Bitte meine Keckheit nicht als blose Wirkung der Eitelkeit auszulegen u in der Hoffnung daß auch bey Ihnen ein kleiner Überrest unsrer früheren Freundschaft zurückgeblieben, habe ich die Ehre mit aller Hochachtung mich zu nennen

Ihren
ganz ergebenen Diener u Freund
August von Klein

Mainz d 10ten März 1859

Wird die Frau Gemahlin sich auch noch meiner erinnern? Derselben bitte ich mich vielmals zu empfehlen.

Autor(en): Klein, August von
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Klein, August von : Die Weihe der Töne
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1859031047

Spohr



Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] Noch nicht ermittelt.

[2] Hier am Seitenfuß vermutlich von Spohrs Hand die Zeilen: „Verehrter Freund / Verehrter Freund,“

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.07.2018).