Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Dordrecht 6 Febr 1859.

Mein theurer hochverehrter Herr General Musikdirector!

Schon woeder somd Sie edler Mann schwer und hart geprüft durch den Verlust Ihres Bruders, des Herrn Kreisgerichtsdirectors. Empfangen Sie meine innigste herzlichste Theilnahme! Dieser neue Schlag des Schicksals wird Ihre Stimmung noch trüber gemacht haben. – Tragen Sie auch diesen Verlust mit Ergebung! Der [???] Schöpfer aller Dinge weiß am Besten was uns Menschen dienst. –
Beinahe fürchte ich daß Sie meinen Brief vom 9t Jan. nicht erhalten haben. Ein der schlimmen Monate ist bereits verlaufen und noch keine Spur von Kälte. ich hoffe daß der strenge Winter uns verschonen wird ja es ist mir als verschonte er uns um Ihretwillen! ich habe fortwährend an Sie mein lieber, mein theurer Meister gedacht und ich bin noch keinen Augenblick ruhig gewesen. Was müssen Sie leiden! –
Könnte ich unabhängig leben oder hätte ich Aussicht dort so viel verdienen zu können nun zu leben – ich würde augenblicklich kommen um mich Ihnen ganz zu weihen! Sie würde mich zum Theilnehmer Ihres Schmerzes machen und ich würde mit Muth meinen Theil tragen. Ebenso würden Sie mich zum Theilnehmer Ihres reichen Wissens und Ihrer vielen Erfahrungen, sowohl im Reiche der Kunst als des Lebens machen und es würde sicherlich kein Theil der Musik unbesprochen bleiben – die Zufälle des lebens gehörig erörtert werden. Noch eine neue Beschäfftigung fällt mir ein. Wie ich bei Ihnen studirte hatten Sie einst die Güte zu bewirken daß mir aus der k.1 LandesBibliotheks MusikSammlungen aus dem (15?2) – 16 – 17 – 18 Jahrhundert zur Benutzung anvertraut wurden. Die meisten Dieser Sammlungen stammen aus der Zeit des Landgrafen Moritz bis 1632, der ein eifriger Musikfreund war und der selbst viele Gesänge geschrieben hat die noch im Gesangbuche stehen u von der Gemeinde gesungen werden3 darunter: „Herr Jesu Christ wahrer Mensch in Gott, der du littest Marter, Angst u Spott“
„Nun singt ein neues Lied dem Herren“
„Gleichsam der Hirsch auf grüner Heid“
so wie von beiden Gabrielis und andern Italienern aus jener Zeit. Viele dieser Musik ist ohne Taktandeutung ohne Vorzeichnung und theilweise im Schlüssel die nicht mehr im Gebrauch sind. ich brachte es damals bald dahin diese Musik in Partitur setzen zu können u es war für mich eine eben so interessante als nützliche Beschäfftigung. Es ist von mir nur ein flüchtiger Gedanke den Sie hochverehrter meister schnell vergessen müssen wenn er Ihnen nicht zusagt. In meiner Sorge geade durch Beschäfftigung all des Unangenehmen und Gehässigen das Ihnen wiederfahren oder wohl noch wieder fährt, vergessen zu machen, komme ich drauf u ich bitte es mir nicht übel zu deuten u als nicht gesprochen anzusehen, wenn es Ihnen misfällt. Vor wenigen Tagen war Hr. van Eyken aus Elberfeld hier um eine neue Orgel zu probiren. Er verehrt Sie sehr hoch, erzählte mir daß er Sie im vergangenen Herbste in Leipzig gesehen und gesprochen habe und ließ mich einen Brief4 von Ihnen sehen, den Sie ihm über eine Sonate geschrieben u den er wie ein Heiligthum beehrt – Darüber wundere ich mich nicht, denn ich thue dasselbe. Er läßt sich Ihnen allerbestens empfehlen. –
In der Hoffnung daß Sie mein theurer hochverehrtester Herr General Musikdirector sich in heiterer Stimmung befinden, da wir dem Frühlinge der Alles belebt, mit schnellen Schritten entgegen gehen, als am Anfange dieses unglücklichen Jahres; in der Hoffnung daß Sie Ihre eigene innere ruhe unter allen Umständen bewahren sende ich Ihnen und Frau General Musikdirector und Ihrer Schäwgerinn Fräulein Pfeiffer meine herzlichsten herzlichsten5 Grüße u Empfehlungen. Noch bitte ich Sie dringend mir einige Nachricht zu geben, ich hoffe nun mich zu beruhigen – oder – um mein Theil an Ihrem Schmerz u Leiden zu tragen.
Mit unendlicher Hochachtung, mit inniger Liebe und treuer Ergebenheit

Ihr
F. Böhme

Autor(en): Böhme, Ferdinand
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Eyken, Jan Albert van
Gabrieli, Andrea
Gabrieli, Giovanni
Moritz Hessen-Kassel, Landgraf
Spohr, Carl (Bruder von Louis Spohr)
Erwähnte Kompositionen: Eyken, Jan Albert van : Sonaten
Erwähnte Orte: Dordrecht
Kassel
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1859020640

Spohr



Der letzte Brief dieser Korrespondenz ist Böhme an Spohr, 09.01.1859. Spohr beantwortete diesen und den Vorbrief am 10.02.1859.

[1] Abk. f. „kurfürstlichen“.

[2] „?“ über der Zeile eingefügt.

[3] Hier ein Wort gestrichen („dabei“?).

[4] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[5] Sic!

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (23.10.2020).