Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287


Dordrecht 9 Jan. 1859.

Mein theurer Hochverehrtester herr General-Musikdirector!

Ihr Brief hat mich tief erschüttert! Mit tiefgefühlter innerer Bewegung habe ich gelesen und im ersten Augenblick wollte ich selbst zu Ihnen eilen um Sie so viel es mir möglich wäre Sie zu beruhigen und aufzuheitern.
Leider bin ich hier gebunden, Dienstag wie Ihr Brief kam war Concert, gestern Gesangverein, heute Euterpe u so geht es fort. Wäre dieses nicht – wäre ich so begütert um unabhänglich leben zu können – nichts würde mich abhalten zu Ihnen mein theurer geliebter Meister zu eilen, um sie zu erheitern u freudig zu stimmen, mit meinem Worte, um mich Ihnen ganz zu weihen, obgleich ich selbst einen Karcter besitze der sich der Freude oder der heiterkeit nicht hinneigt. Aber Sie so leidend zu wissen, solche schlaflose Nächte zuzubringen u so ohne Beschäfftigung – Beschäfftigung die Ihnen Bedürfniß ist und eben so nöthig als Speise u Trank, daß thut mir in der Seele wehe! Darf ich Ihnen Hochverehrter Herr General-Musikdirector Ihnen einige Beschäfftigung vorschlagen? Sie kennen ganz mein inneres. Sie kennen meine unbeschreibliche Hochachtung, meine Liebe und treue Ergebenheit für Sie – wenn ich Etwas unpassendes oder dummes sage – denken Sie daß mein Wille und meine Meunung wohlgemeint waren. – Außerdem sind Sie ein Mann der so Großes und Edles u Schönes hervorgezaubert hat, dessen Meisterwerke erst recht verstanden u gewürdigt werden sollen; der in der Kunst und im leben gewirkt hat, wie nur sehr wenige Auserwählte es vermochten, der so reich an edlen Thaten ist – u ich kann Ihnen von so vielen erzählen die Sie, edler Mann, sicher längst selbst vergessen haben – daß Sie mir verzeihen wenn ich etwas unpassendes vorschlage.
Erstlich bitte ich um einen fortwährenden Briefwechsel, wenn das Schreiben Ihnen nicht zu viele Mühe macht und nicht zu lästig ist und zu gering mit Jemanden, dessen einziges Verdienst es ist, daß er Sie treu u innig liebt. ich werde über Alles was mir passend scheint, besonders über Musik schreiben und Sie mein hochverehrter Meister der einen solchen Reichthum an Wissen u Erfahrungen besitzt, Sie haben die Güte meine irrigen Ansichten zu verbessern und auf die Weise belehrend und wohlth[uend] u nützlich auf mich zu wirken. –
Zweitens hatte ich seit langen Jahren den Wunsch Ihre herrlichen Quartette u Quintette für Piano zu umschreiben, selbst Ihre Orchester Werke, noch nicht für Piano gesetzt, waren unter diesem Plan begriffen – aber wer kann dieses nun besser thun, als der Componist dieser herrlichen Meisterwerke? Es wird diese Beschäfftigung Sie jedesmal lebendig in die Zeit zurück versetzen, wo Sie die Werke scufen und wie reicht muß Ihre Erinnerung sein? und wie nützlich und einladend ist eine solche Beschäfftigung? Diese würde Ihnen sicher manche angenehme Stunde bringen und manche kürzen!
Noch muß ich es mir erlauben um Sie, mein hochverehrter Herr GMDirector fragen ob Sie bereits die Manuscripte Ihrer Opern wieder in Händen haben? ich kann nicht genug darauf dringen daß diese geschehe. Verlangen Sie unter welchem Motif auch, dieselben, wie noch der andern aus der Theater-Bibliotheik und lassen Sie dafür eine Copie zurück besorgen. Daß Nachsehen, durchsehen derselben, vielleicht gar kleine Ergänzungen, ist ebenfalls eine gute Beschäfftigung. Ebenso das Vorbereiten zu einem neuen Druck dieses oder jenen Werkes – wenn auch erst für die Zukunft, ist ebenfalls eine gute Beschäfftigung.
Besser konnte der K.1 nicht treffen als Sie in Unthätigkeit zu versetzen – das hat ihm der Teufel eingegeben, der es ihm auch bezahlen wird – aber halten Sie aus – bleiben Sie Spohr der große Spohr bis ans Ende! Das ist es was ich für Sie immer gefürchtet habe: Unthätigkeit.
Den Gedanken müssen Sie aber bannen, daß Sie nicht mehr nützlich sein können. Daß können Sie fortwährend und daß thun Sie wirklich durch Ihre Werke. Aber auch außerdem thun Sie es bereits auf so schöne Weise! Und dann, wer so gelebt o gewirkt und thätig gewesen ist wie Sie, hochverehrter Herr General-Musik-Director, der mag wohl auch feiern! – Dem rathe ich würde ich mein Ohr verschließen gegen viele musikalische Stadtneuigkeiten. Ihr Nachfolger mag sehr gute Seiten haben – aber er ist auch ergeizig, daß habe ich schnell bemerkt u ein solcher denkt immer erst an sich und dann thut er vielleicht zu bereitwillig was ihm geheißen. – Irre ich hierin, so bitte ich oft in Gedanken um Verzeihung. –
So lange ich Ihren Brief empfangen, für den ich Ihnen recht herzlichen Dank sage, so wie für Ihr Vertrauen und Wohlwollen wofür ich Ihnen nur meine Liebe und treue Ergebenheit bieten kann, bin ich noch keinen Augenblick ruhige gewesen! Ein Zauberer möchte ich sein, der so mit einem Male die schlimmer Monate wegzaubern oder verändern könnte! ich hoffe daß sie nicht zu streng kalt sein werden und daß der Frühling mit seiner Algewalt nicht zu lange ausbleiben wird! So hoffe ich auch daß Sie sich keiner trüben Stimmung hingeben und daß Sie mich recht recht bald mit einem brief beglücken. Empfangen Sie nun wiederum die Versicherung meiner größten Hochachtung und treuesten Ergebenheit. ich kann nur immer dasselbe sagen und es kommt immer drauf hinaus: daß ich Sie unendlich lieb habe!
Mit der Bitte mich Frau General Musikdirector und Fräulein Pfeiffer allerbestens zu empfehlen bin und bleibe ich ewig Ihr getreuester u gehorsamster

F. Böhme

Autor(en): Böhme, Ferdinand
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Friedrich Wilhelm Hessen-Kassel, Kurfürst
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1859010940

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Böhme, 31.12.1858. Spohr beantwortete diesen und Böhmes nächsten Brief vom 06.02.1859 am 10.02.1859.

[1] Vermutlich Abk. f. „Kurfürst“ (Friedrich Wilhelm von Hessen-Kassel).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.10.2020).