Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Donnerstag den 18ten Novr
Detmold

Verehrtester Herr Freund

Soeben komme ich von einer musikalischen Sitzung oder Aufführung zurück wobei der Capellmeister Kiel u. ich abwechselnd, oder gemeinsam, eine wichtige Rolle gespielt haben.
Gestern Nachmittag besuchte er mich u. wegen der Sachen von Liszt bitter er Sie ja vor der Hand sie zu behalten, man hätte sie auf das Sorgfälgitgste hier einstudirt u aufgeführt, u. wären dabei beinahe toll geworden. Dann beklagte er sich sehr dass Sie hier nicht kommen wollten, da erklärte ich ihm d. Sie bis jetzt nie frei gewesen wären, aber im Frühjahr oder Sommer würden Sie wahrscheinlich keine Einladung abschlagen. Er war sehr freundlich, brachte mir ein Billet für das Conzert, (ich hatte aber schon eins) u. bestimmte heute um 11 Uhr mich abzuholen um zu musiziren in dem Probe-Saal des Theaters weil hier im Hause ist kein Clavier. Ich bekomme doch eins schon heute hoffentlich.
Den Zettel von dem Conzert lege ich bei.1 Sehen Sie, ohne nach dem Gewandhaus Saal zu wandeln, erwartete mich hier eine ganz ausserordentliche musikalische Freude. Die Jahreszeiten hatte ich seit Jahren nicht gehört u. die wurde ganz einzig schön gegeben. „Der Winter“ brachte mich beinah um, so treulich haben Sie die Leiden den geistigen Jahreszeit geschildert2, u. doppelt erquicklich wirkte der Frühling auf mich. Die Holz Blas-Instrumente trillirten wie die Vögel selbst, u. Rheinicke zeichnete sich dabei ganz besonders aus, obgleich (wie die Choräle immer in ihren Depeschen zu sagen pflegen) ich sollte nicht einen nennen wo Alle vortrefflich waren.
Aber wie soll ich Ihnen „den Sommer“ beschreiben? Die Quartette ist so schön im Orchester 16 Geigen u.s.w., u. wirklich wie sie den Sommer vortrugen, werde ich im Leben nicht vergessen. Was Ihre Composition betrifft brauche ich Ihnen nichts zu sagen, u. mit Worten konnte ich unmöglich ausdrücken wie es auf mich gewirkt hat. Es wurde hier ordentlich ganz heiß u. schwül, in einer solchen Sonnen Gluthe bin ich im Leben nicht gewesen. Der Herbst brachte uns wieder in eine leicht muntere Stimmung, d. Sie ein wohl bekanntes deutsche Lied hinein geflochten hätten musste ich hier erst erfahren, (man reist nicht umsonst in die Welt) u. Sie haben es so prächtig gemacht d. man hätte schwören können es gehörte zu Ihren eigenen Kinder als adoptirte Tochter hätte ich sie nie erkannt.

Freitag Morgen
Herr. v. Meysenbug hat gütigst erlaubt d. ich das Instrument aus dem Probe Saal haben soll, so lange ich hier bleibe, u. gestern Nachmittag wurde es hieher von 4 Soldaten transportirt, unter der Leitung des Capellmeisters Kiel u. Leutnant Grosskopf, den Schwiegersohn von Kanzlerinn3 Rosen. Jezt wird er gestimmt u um 11 Uhr erwarte ich Kiel der weider mit mir musiziren will.
Wir spielten gestern 2 von Ihren Adagios aus dem 9ten u. 11ten Concert4, eine Sonata v. Mozart in D dur, die Romanzen von Schumann, u. ich Ihre Sonate, die Kiel so gefallen hat d. er mich heute bat ich möchte sie ihm bald wieder spielen.

Freitag Abend
Kiel spielte heute mit mir das Adagio aus Ihrem 12ten Conzert5, ein Adagio von sich u. Sonaten von Mozart. Morgen kommt er wieder, dann will ich ihm Ihre Sonate spielen. Er ist die Freundlichkeit selbst, u. ich musizire gar zu gern mit ihm. Heute Abend komme ich in eine Gesellschaft wo ich mit Schmidt spielen werde. Warum haben Sie nichts für Violoncell componirt??? Brahms ist hier, ich habe ihm aber bis jetzt weder gesprochen noch gesehen; dem Fürsten zu Danke hat Detmold unendlich viel an musikalischen Interesse gewonnen in den 11 Jahren dass ich nicht war, u. gewiss wenn Sie später wieder kommen werden Sie auf eine schöne Weise empfangen. Sollten Sie Frau von Malsburg sehen, bitte die herzlichste Grüsse an sie, u. mit aller Verehrung u. Liebe sag ich Ihnen, bester Freund, Adieu.

Stets Ihre treu ergebenste
Sophy Horsley

N.S. Es that mir sehr leid vor meiner Abreise Sie nicht wieder zu sehen, ich dürfte aber nicht aus dem Hause wegen Erkältung.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Horsley an Spohr, 18.01.1858.

[1] Er befindet sich immer noch beim Autograf dieses Briefs.

[2] „geschildert“ über gestrichenem Text eingefügt.

[3] Sic!

[4] Op. 55 und 70.

[5] Op. 79.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (12.08.2022).