Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Dordrecht 10 Nov 1858.

Hochverehrter Herr General Musik Director!

So eben lese ich über Ihre Reise nach Leipzig und über die vortreffliche Ausführung der Jessonda Ouverture und Ihrer 3ten Sinfonie im Gewandhaus Concerte, von dem Enthusiasmus den Ihre Gegenwart erweckt hat und von dem allgemeinen beifalle der ihnen und Ihren Werken so stürmisch zu Theil wurde!1 Eben so daß man Ihnen Ihre Motteten vorgetragen und daß Ihre Oper Faust nun einstudirt wurde pp. Wie hocherfreut ich hierüber bin, kann ich Ihnen nicht sagen, um so mehr da ich mich in Wiesbaden so schrecklich ärgerte daß man bei Ihrer Gegenwart versäumte Ihnen durch die Ausführung des einen oder andren Ihrer Werke rechtmäßige Huldigung darzubringen. Obgleich mich der pure Zufall nach Wiesbaden2 führte, so dankte ich diesem die große Freude Sie mein theurer hochverehrter meister, sowie Frau General Musikdirector und Fräulein Pfeiffer daselbst zu sehen und frohe angenehme Augenblicke in Ihrer Gesellschaft zu verleben u daß entschädigt mich tausendfach für Alles andere! –
Bei meiner Zurückkunft fand ich folgenden, wörtlich copirten, Brief aus London vor. ich erlaube es mir Ihnen Hochverehrter Herr General Musikdrector denselben mitzutheilen und um Ihren gütigen Rath zu bitten, wie ich mich unter den Umständen zu verhalten habe.

Kneller Hall 23 Sept. 1858.

Geehrter Herr Böhme!

Gewiß werden Sie sich wundern von mir einen Brief zu erhalten. Jedoch, ich fühle mich verpflichtet Ihnen mitzutheilen, daß Ihre Composition „Die Schifffahrt“ welche ich schon von Amsterdam aus kannte, hier in London mehrere Male mit dem größten Beifalle aufgeführt worden ist. Wie gesagt, Note für Note ganz dieselbe schöne Musikpieße, die ich das Vergnügen hatte, zuerst in Holland kennen zu lernen, nur mit dem Unterschied daß der Componist in Holland Herr Böhme, und in England Herr Schallehn heißt.
Wenn Sie mich meinem Briefe darüber beehrten wollten, um bei der nächsten Aufführung mit Beweisen gegen diese impertinente Musik-Schwindelei auftreten zu können, indem ich Herrn Schallehn nicht fähig halte für solche Composition und ich Sie in Schutz nehmen darf.

Ihr ergebener
C. Mandel.

Gern möchte ich nun wissen was beide Herrn für Personen sind und ich möchte Sie hochverehrtester Herr General Musikdirector freundlich bitten, wenn es Ihnen möglich ist und ich von Ihrer Güte nicht zu viel verlange durch den einen oder den andren Ihrer zahlreichen Verehrer oder Bekannten in London nach beiden informiren zu lassen. Die Adresse des Hr. Mandel ist, folgends beigelegter Karte:
Professor C. Mandel, Theoretical Teacher of Music Kneller Hall Hounslow

An diesen habe ich, außer gegebenen Beweisen daß ich wirklich der Componist der sogenannten Schifffahrtsfantasie bin, geschrieben daß er sich über meinen Karacter pp. bei Ihnen oder Hr. Dr. Hauptmann erkundigen könne, doch daß Sie, wie Dr. Hauptmann schwerlich wissen würden ob ich gerade der Componist der Schifffahrtsfantasie sei, da man über solche Compositionen (zu denen ich leider hier verpflichtet bin) mit solchen Männern wie ein Spohr oder Hauptmann nicht spräche. –
Vorläufig werde ich den Brief des Pr. Mandel in einer Übersetzung hier in die Holländische Musik Zeitung setzen lassen3, wozu er seine Zustimmung gab. Rathen Sie mir hochverehrter Herr General Musikdirector daß ich denselben auch in eine deutsche Musikzeitung aufnehmen lasse u welche?
Der fragliche Hr. Schallehn hat eine Copie der Partitur benutzt die ich im Sept 1852 bei meiner Anwesenheit in Paris an Md. Hambers(???) Editeur de Musique zum Druck zurückließ u da das Stück nicht erschien, so konnte ich erst jetzt unter Androhung die Sache einem Procourator in die Hände zu geben, die Partitur zurück erhalten. In dieser4 habe ich kleine Veränderungen gemacht5 die sich auch in den gebrauchten Partien in London vorfinden, wie mir Hr. Mandel auf meine Frage darüber schrieb u hat niemand die Partitur als Md. Hambers(???) in Paris von mir erhalten.
Das Stück ist für Militär Musik und kommen viel Kanonen (für alle gr. u kl. Tyrannen)6 drin vor, Sie können doch ermessen welchen musikalischen Werth ich ihm beilege7!! Es ist bereits 1848 componirt u ausgeführt u hat hier im Land viel Effect gemacht. Jedenfalls ist die Handelweise des Hr. Schallehn eine schlechte u verdient öffentlich gerügt zu werden. –
So bitte ich Sie hochverehrter Herr General-Musik-Direc[to]r um Ihren gütigen Rath und Beistand um im Interesse von Componisten (auch so sehr im eigenen) einen Betrüger zu strafen, zum Beispiel für Andere. –
Indem ich nun wünsche u hoffe daß Sie hochverehrter Herr General Musik Director recht oft solche freudige u angenehme Tage erleben u solche gerechte Anerkennung finden werden, wie kürzlich in Leipzig und daß man Ihnen überall die Huldigung darbringe auf die Sie so sehr Anspruch nehmen können8 die Ihnen von Rechtswegen gehört und daß Sie sich eines beständigen Wohlseins u heiterer Stimmung erfreuen mögen, daß ist mein herzlichster innigster Wunsch.
Mit der Bitte mich Frau General Musikdirector und Fräulein Pfeiffer allerbestens zu empfehlen bin ich
mit größter Hochachtung und treuer Ergebenheit

Ihr gehorsamster
F. Böhme

Autor(en): Böhme, Ferdinand
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Hauptmann, Moritz
Mandel, Carl
Schallehn, Henry
Erwähnte Kompositionen: Böhme, Ferdinand : Die Schifffahrt
Spohr, Louis : Faust
Spohr, Louis : Jessonda
Spohr, Louis : Sinfonien, op. 78
Erwähnte Orte: Leipzig
Wiesbaden
Erwähnte Institutionen: Gewandhaus <Leipzig>
Mittelrheinische Musikfeste <verschiedene Orte>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1858111040

Spohr



Der letzte Brief dieser Korrespondenz ist Böhme an Spohr, 05.04.1858. Spohrs beantwortete diesen Brief am 15.11.1858.

[1] Vgl. 6., „Leipzig, 3. Abonnementconcert“, in: Neue Zeitschrift für Musik 49 (1858), S. 194; „Drittes Abonnementconcert in Leipzig im Saale des Gewandhauses. Donnerstag den 21. October 1858“, in: Signale für die musikalische Welt 16 (1858), S. 420.

[2] Spohr besuchte Ende September 1858 das Mittelrheinische Musikfest in Wiesbaden (vgl. Spohr an Wilhelm Speyer, 20.09.1858).

[3] Vgl. „Binnenlandsche berigten“, in: Caecilia <Utrecht> 15 (1858), S. 200.

[4] Hier gestrichen: „sind“.

[5] „gemacht“ über der Zeile eingefügt.

[6] „(für alle gr. u kl. Tyrannen)“ über der Zeile eingefügt.

[7] Hier am Wortende gestrichen: „n“.

[8] „nehmen können“ vermutlich nachträglich eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.10.2020).