Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

An
den General-Musikdirektor
Herrn Dr. Louis Spohr
Hochwohlgeboren
in
Cassel.

d. G.1


Danzig, den 31. Octob. 58.

Hochverehrter Herr Doctor!

Bei dem großen Antheil, welchen ich an Ihrem Wohlergehen nehme, habe ich mit Freude von Ihren verschiedenen Reisen in letzter Zeit kunde genommen, welche von Ihrer körperlichen und geistigen Frische einen sprechenden Beweis geben. Noch ganz neuerdings las ich von Ihrem bevorstehenden Besuche Leipzigs und von dem Beschlusse der dortigen Conzert-Direction, die Anwesenheit des Meisters durch zwei seiner Orchesterwerke zu feiern. Hoffentlich wird die Ausführung der Cmoll-Sinfonie und der Jessonda-Ouvertüre Ihren Anforderungen und Wünschen entsprechend gewesen sein.2 – Eine Erholungsreise führte mich im verflossenen Sommer nach Braunschweig, Wolfenbüttel in den Harz und nach Thüringen. Leider war diesmal Cassel von meiner Reiseroute ausgeschlossen, doch, wer weiß, ob ich Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin im August zu Hause angetroffen hätte? Einen Tag brachte ich bei Liszt in Weimar zu, der mir viel vorspielte. Auch hatte ich das Vergnügen, mit ihm aus dem Manuscript ein Arrangement das Beethovenschen Cis moll-Quartetts für zwei Pianoforte von dem Russen Suroff zu spielen. Meine gegenwärtige künstlerische Thätigkeit konzentrirt sich auf ein Pianoforte-Arrangement sämmtlicher Mozart’schen Sinfonien für 2 und 4 Hände, nachdem die Beethovenschen bereits vollständig erschienen sind, (bei Holle in Wolfenbüttel). In diesem Augenblick bereite ich mein Oratorium „das Gedächtniß der Entschlafenen“, für welches Sie, hochverehrter Meis[ter] ein so freundliches, mir ewig unvergeßliches Interesse an den Tag legten, zur Aufführung vor. – Unsere Oper beabsichtigt so schleunig als möglich meine Oper: „der König von Zion“ neu einstudirt in die Scene gehen zu lassen, aber ich bin in großer Verlegenheit wegen eienr Partitur. Darum erlaube ich mit die so dringende, also ergebene Bitte: Sie möchten die Güte haben, mir die Partitur, welche ich vor 2 Jahren Ihnen zu überreichen so frei war, wo möglich umgehend zu übersenden, falls dieselbe noch bei Ihnen sich befinden sollte. Für den Fall, daß die Oper in den Händen des Herrn Kapellmeisters Reiss wäre, habe ich an denselben die gleiche dringende Bitte gerichtet. Durch Herrn Reiss erhalten Sie diese Zeilen, hochverehrter Herr Doctor, welche ich beschließe mit der Kundgebung meiner aufrichtigsten, innigsten Verehrung und mit den herzlichsten Wünschen für Ihr Wohlergehen. Bewahren Sie Ihr freundliches Wohlwollen Ihrem ganz ergebensten
FWMarkull.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Markull an Spohr, 02.12.1857.

[1] „Gibt man einem Freunde, der an demselben Ort reiset, wohin man schreibt, den Brief zur Bestellung mit, so setzt man auf die Adresse: ,durch Gefälligkeit’ oder ,durch Gelegenheit’“ (Neuester und vollständigster deutscher Universal-Muster-Briefsteller, sowie österreichischer Privat-Geschäfts-Secretär, welcher alle im bürgerlichen Leben vorkommenden schriftlichen Aufsätze zu verfassen lehrt, Bd. 1, o.O. [1842], S. 124).

[2] Vgl. „Drittes Abonnementconcert in Leipzig im Saale des Gewandhauses. Donnerstag den 21. October 1858“, in: Signale für die musikalische Welt 16 (1858), S. 420.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.01.2022).