Louis Spohr an Carl Reiss in Kassel

An
Herrn Hofkapellmeister Reiss
Wohlgeb


Cassel den 8^ten October
1858.

Hochgeehrter Herr Kapellmeister,

Da ich nach der Reparatur unsres Hoftheaters, wie das Orchester eine veränderte Aufstellung erhalten mußte, noch in Activität war, so erinnere ich mich sehr gut, daß wir für diese Aufstellung nicht Zeit genug hatten, um durch Versuche gehörig zu ermitteln, wie hier für ein vollkomnes Ensemble am zweckmäßigsten zu treffen sey, und ich fand es daher sehr natürlich, daß Sie, wie Sie die Direction der Oper vollständig übernommen hatten noch einige Abänderungen in der Aufstellung der Orchesterinstrumente nöthig fanden! durch ein Verbot Sr. Königlichen Hoheit aber¹ daran gehindert wurden. Da Sie nun in einer mehr als jahrelangen Erfahrung die Überzeugung gewonnen haben, wie nothwendig für ein ganz vollkomnes Ensemble des Orchesters eine veränderte Aufstellung geworden ist, so bin ich überzeugt, daß unser Intendant, Herr Hofmarschall von Heeringen aus Interesse für die Oper alles aufbiethen werde, Ihnen die endliche Genehmigung für eine veränderte Aufstellung zu erwirken, um so mehr, da nichts verlautet, daß eins der lärmenden Instrumente des Orchesters so aufgestellt sey, daß Sr. Königl. Hoheit in seiner Loge sich dadurch belästigt fühlen könnte, überdieß auch in der ganzen Welt der Gebrauch vorherrscht, daß man dem Dirigenten oder dem Kapellmeister des Orchesters, der doch die Verantwortung für genaues Zusammengehen des Ganzen übernehmen muß, die endgültigen Anordnungen im Orchester zu überlassen pflegt! Mir ist darin bey meiner langen Geschäfteführung nie ein Hindernis entgegen getreten und so darf ich wohl hoffen, daß auch Sie nicht länger beschränkt seyn werden!
Daß diese Hoffnung recht bald in Erfüllung gehe, wünscht

Ihr
ergebener
Louis Spohr
Kurhessischer Generalmu-
sikdirector a.D.