Autograf: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main (D-F), Sign. Mus. Autogr. A. Schmitt A 172

Herrn Generalmusikdirektor Dr. L. Spohr
in
Cassel.

Uebergeben von Herrn Hüfner.


Hochverehrter Freund!

Der Ueberbringer dieser Zeilen ist Herr Hüfner, dessen Vater1, wenn ich richtig unterrichtet bin, Sie kennen.
Der junge Mann war einige Monathe hier bei mir und nahm Unterricht bei mir. Nur schade, daß er nicht länger bleiben konnte, da man in so kurzer Zeit kaum Fingerzeige geben kann, geschweige ein System ausbreiten. Bitte, nehmen Sie den jungen Mann gütig bei sich auf, er ist gar lieb und bescheiden, und verdient, daß man ihm eine besondere Berücksichtigung angedeihen läßt. Irre ich nicht, so glaube ich, daß Sich Herr Hüfner seiner Zeit einmal auszeichnen wird. Fräulein Brandau, für die Sie sich ja auch interessiren machte in der letzten Zeit sehr bemerkenswerthe Fortschritte, so – daß ich große Hoffnung in ihr Talent setze! Schade, daß sie so häufig kränklich ist. Von meinem Sohne Georg Aloys haben Sie doch gelesen?2 Er spielte vor der Königin Victoria, und wurde bei Hof sehr ausgezeichnet, so wie er überhaupt dort in London kein geringes Aufsehen erregt hat, wo er auftrat u. öffentlich spielte.
Ob sie wohl meinen Brief vom 27ten erhalten haben, worin ich Ihnen mit aller Begeisterung wegen Bockenheim schrieb? Wir waren alle so begeistert, als wir hörten: daß Sie sich vielleicht entschließen würden, nach Bockenheim zu ziehen.
Noch einmal rufe ich Ihnen zu: auf Händen sollen Sie getragen werden, wenn sich dieß bewahrheitet.
Da ich voraus setze: daß der Herr Capellmeister Reis Sie oft besucht, so würden Sie mich unendlich verbinden, wenn Sie ihn für meine Oper „das Osterfest zu Paderborn“ gut stimten, u. ihn dahin vermögten: daß er in den dortigen Concerten einmal eine Symphonie oder sonst ein Orchesterwerk von mir aufführte. Mit hin(?) u. den neidischen(?) Musikdirectoren fast überall – ist gar nichts mehr zu machen, und ich bin es ganz müde geworden, noch ein Wort oder Bitte auszusprechen, und was bietet denn die Neuzeit bedeutendes? den Ocean von Rubinstein? letzterer ist für mich wenigstens eine merkwürdige Erscheinung, denn sei gänzliches Wirken geht darauf hinaus, daß wenn eines seiner Musikstücke zu Ende ist; man gar nichts davon behalten hat, u. überhaupt keinen Eindruck davon hat. Eine Blume ohne Geruch! und nicht einmal eine schöne Blume. Für mich eine merkwürdige Erscheinung, eben aus besagtem Grund, weiter aber nichts; so sehr mich auch Compositionen von unbedeutenden Componisten – namentlich wenn es junge Männer sind – interessiren. Mit der verworrenen Schreibart der heutigen Zeit kann ich mich nie und nimmer befreunden.
Unlängst wurde Ihr Faust hier gegeben, u. ich hatte vor: Ihnen gleich nach der Aufführung einen Bericht darüber zu geben, allein ich habe mich so geärgert über die Aufführung, daß ich lieber schweig. Auch nicht eine Spur von der Größe, der in diesem Meisterwerk herrscht. Gustav Schmidts Oper dagegen, gieng ganz vortrefflich.
Indem ich Ihnen meinen Empfehlenen noch einmal an‘s Herz lege, so empfehle ic mich Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin bestens, u. bin und bleibe

Ihr Sie unendlich hochverehrender
Dr. Aloys Schmitt.

Frankfurt a/m d. 10ten August
1858.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 27.04.1858.

[1] Da Georg Hüfner aus Kassel stammte und der Vater noch zu Leben scheint, kommen in Frage: Georg Christian Hüfner, Stadtkämmerer und Rechnungsführer der Sparkasse, und der Sattlermeister Johann Gottfried Hüfner (vgl. Adreß-Buch von Cassel und Umgebungen 25 (1858), S. 111).

[2] Noch nicht ermittelt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (20.04.2018).