Autograf: Universitätsbibliothek Kiel (D-KIu), Sign. 19.120
Druck 1: Max Chop, „Johann Friedrich Kittl (aus Briefen von Wagner, Liszt, Spohr und Mendelssohn)”, in: Neue Zeitschrift für Musik 100 (1904), S. 775-778 hier S. 777f.
Druck 2: Ant[on] Šilhan, „Louis Spohr a Jeho Styky s Prahou”, in: Hudební Revue 2 (1909), S. 453-463, hier S. 461 (tschechische Übers.)
Cassel den 13ten Juni 1858.
Hochverehrter Herr und Freund,
Wie vermögte ich es, einer so höchst ehrenvollen, wiederholten Einladung zu Ihrem Feste zu wiederstehen! Schon Anfangs bey der ersten Einladung that es mir leid, daß meine Reisepläne für dieses Jahr1 sich nicht gut mit der Zeit, welche Sie für die Feyer Ihres Festes bestimmt hatten, wollte einigen lassen, und ich lehnte daher2 mit schwerem Herzen ab!
Nun aber Ihr Fest bis zum Juli verschoben worden ist, soll mich auch nichts abhalten, demselben beyzuwohnen!
Ich hatte nämlich für Ihre Stadt von frühester Jugend an, eine große Vorliebe, theils weil ich daselbst eine große Menge von Freunden besaß, denen ich viele frohe Stunden meines Lebens zu verdanken habe. Dann war mir Prag auch stets lieb und verehrungswürdig, weil es von allen Städten die war, die das große, noch nicht wieder erreichte Genie Mozarts zuerst3 erkannte, und an4 seinen Kompositionen5 unwandelbar festhielt! Da auch ich von frühester Jugend an, Mozart als leuchtende Vorbild in meiner Kunst verehrte, so hat dies meine Vorliebe für Prag und seine Musikschule, die gleiche Wege betrat, noch steigern müssen! Und ich bin daher in einer Zeit, wo von einer fanatischen Parthei Mozart ein überwundener Zeitpunkt genannt6 und der Versuch gemacht wird, dem Kunstjünger ander Götter als Vorbilder in der Kunst, oder vielmehr andere Götzen zu octroiren, doppelt froh, bey dem Fest der Stadt Prag nicht zu fehlen! Es würde mich aber begreiflicherweise freuen und ehren7, wenn ich als Komponist dabey vertreten seyn könnte, und ich mögte daher noch bitten, daß wenn das Programm der auszuführenden Kompositionen nicht schon definitiv geschlossen ist, noch eine meiner Sinfonien eingereihet würde, und kann mein Wunsch stattfinden, so schlage ich dazu, wenn man Programm-Musik wünscht, die 4te, „die Weihe der Töne” vor, zieht man aber reine Instrumentalmusik vor, so proponire ich meine 2te8 3te9 oder 5te10 Sinfonie.
Indem ich nun bitte dem Festkomitée diesen Wunsch vorzutragen und ihn zu befürworten, unterzeichne ich mit herzlicher Freundschaft ganz
der Ihrige
Louis Spohr.
NS. Ich bemerke beym Wiederdurchlesen des Briefes, daß ich in keiner Stelle desselben bemerkt habe, daß meine Frau mich auf der Reise nach Prag11 wie auf allen meinen Reisen begleiten wird, und füge es noch bey, damit in keiner Weise eine Verlegenheit für Sie daraus entstehe.
der Obige.
Autor(en): | Spohr, Louis |
Adressat(en): | Kittl, Johann Friedrich |
Erwähnte Personen: | Mozart, Wolfgang Amadeus Spohr, Marianne |
Erwähnte Kompositionen: | Spohr, Louis : Sinfonien, op. 102 Spohr, Louis : Sinfonien, op. 49 Spohr, Louis : Sinfonien, op. 78 Spohr, Louis : Die Weihe der Töne |
Erwähnte Orte: | Prag |
Erwähnte Institutionen: | Konservatorium <Prag> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1858061315 |
Dieser Brief ist die Antwort auf Kittl an Spohr, 09.06.1858. Kittl beantwortete diesen Brief am 16.06.1858.
[1] „Jahr” über der Zeile eingefügt.
[2] „lehnte” über der Zeile eingefügt.
[3] „zuerst” über der Zeile eingefügt.
[4] „an” über der Zeile eingefügt.
[5] Hier gestrichen: „erkannt und [???]”.
[6] Vgl. Franz Brendel, „Fragen der Zeit. III. Die Forderungen der Gegenwart und die Berechtigung der Vorzeit“, in: Neue Zeitschrift für Musik 29 (1848), S. 101-105, hier S. 103; darauf bezogen J[ean] Schucht, „Der überwundene Standpunkt der Tonkunst“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 50 (1848), Sp. 755-759, hier Sp. 757; „Entstehung der sogenannten Zukunftsmusik“, in: Niederrheinische Musik-Zeitung 5 (1857), S. 108f., hier S. 109.
[7] „und ehren” über der Zeile eingefügt.
[8] Op. 49.
[9] Op. 78.
[10] Op. 102.
[11] „nach Prag” über der Zeile eingefügt.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (28.08.2017).