Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.5 <André 18580510>
Druck: Autographen von Musikern, Schriftstellern, Gelehrten, Naturforschern, bildenden Künstlern und historischen Persönlichkeiten, sowie von handschriftlichen und gedruckten Tabulaturen. Versteigerung, Freitag, den 15. November und Sonnabend, den 16. November 1929 (= Katalog Liepmannsohn 56), Berlin 1929, S. 42 (teilweise)

Cassel den 10ten Mai
1858.
 
Hochgeachteter Herr,
 
Ich kenne keinen Verein, der die Orchesterstimmen meines Oratoriums „der Fall Babylons besitzt. Ich habe sie aber selbst, und bin ganz gewillt, sie Ihrem Bekannten für eine Aufführung zu borgen, so bald ich sie1 aus Bremen zurückerhalten habe, wo das Oratorium vor 8 Tagen von einem dortigen Gesangverein sehr ausgezeichnet aufgeführt worden ist.2 Ein Bedenken habe ich aber dabey! Ob in einer kl. Bayerischen Stadt ein Orchester zusammen zu bringen ist, was das Werk zu bezwingen im Stande ist? Denn die Orchesterparthie ist keine leichte, wie der Unternehmer schon aus dem Clavierauszug ersehen kann. Es gehört dazu daß alle ersten Blasinstrumente gut seyn müssen, weil in ihren Parthien3 nicht ganz leichte Soli vorkommen. Ferner muss der Dirigent über 3 gute und geübte Posaunen zu verfügen haben und zwar in den Stimmungen Alt, Tenor und Baß, weil sie in den Fugen zur Stütze und Verstärkung der 3 Singstimmen erforderlich sind. Es fragt sich allso zunächst ob der Unternehmer ein solches Orchester herbeizuschaffen vermag! ist dieß nicht der Fall und überhaupt sein Chor kein sehr zahlreicher, so wird er viel besser thun, das Werk mit Pianofortebegleitung zu geben. Hat er einen Flügel und kann zu den 3 Nummern, die 4händig sind, durch 2 geübte Spieler vortragen lassen, so ist die Orchesterbegleitung für einen Chor von 50 bis 60 Stimmen vollkommen stark genug! und wird einen viel besseren Effekt machen und das Werk zu viel bessrem Verständniß bringen, als ein mittelmäßiges Orchester, was nicht allen Anforderungen, die die Partitur macht, vollständig entsprechen kann. Ich bitte daher, daß der Unternehmer mir darüber berichten solle, und kann er mich in Bezug auf sein Orchester beruhigen, so stehen ihm meine Orch.stimmen nebst Partitur in der gewünschten Zahl des Quartetts sehr gern zu Diensten. Nur bitte ich mir dann auch zu wissen, wie bald die Aufführung seyn soll und an wen und wohin ich das Paquet adressieren soll! Ich werde dann sorgen, daß Sie (die Stimmen) zeitig genug anlangen!
Mit vorzüglicher Hochachtung
 
ergebenst
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): André, Johann August
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Der Fall Babylons
Erwähnte Orte: Bremen
Erwähnte Institutionen: Engel'scher Gesangverein <Bremen>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1858051026

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf André an Spohr, 05.05.1858.
 
[1] „sie“ über der Zeile eingefügt.
 
[2] Zur Aufführung am 03.05.1858 vgl. „Spohr in Bremen“, in: Bremer Sonntagsblatt 6 (1858), S. 148f.
 
[3] „Parthien“ über der Zeile eingefügt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (11.09.2017).