Autograf: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main (D-F), Sign. Mus.Autogr.L.Spohr A 2
Abschrift: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Autographen aus der Musik- und Theaterwelt (= Lagerkatalog Baer 566), Frankfurt am Main 1908?, S. 40 (teilweise)
Inhaltsangabe: Großherzogthum Hessen, Provinz Hessen-Nassau, Kreis Wetzlar, Fürstenthum Waldeck enthaltend den 2. Teil der Bibliothek des Archivrats Arthur Wyss in Darmstadt (= Lagerkatalog Baer 501), Frankfurt am Main 1904, S. 109

[Herrn Kapellmeister Alois Schmitt
in Frankfurt a/m]1
 
Cassel den 16ten April 1858
Hochgeehrter Freund,
 
Die einzige Weise, um als fremder Künstler in London seyn Glück zu machen ist, in der alten philharmonischen Gesellschaft als Solospieler oder mit neuen Compositionen aufzutreten. Reussirt man da, dann fehlt es auch nicht daß man von den anderen musikalischen Instituten London auch zum Spielen aufgefordert wird. Aber dieß zu erlangen, besonders für einen Claviervirtuosen hält sehr schwer, denn die Directoren der philharmonischen Gesellschaft sind sämtlich Clavierspieler und wollen doch alle selbst einmal im Laufe der Saison in ihren Concerten auftreten, besonders wenn sie etwas Neues geschrieben oder eine neue Clavierkomposition auch von einem andern vorzuführen haben. Der Director, der jetzt den Taktirstab führt (denn Costa ist seit einigen Jahren abgetreten und dirigirt nur noch die italienische Oper), ist seit dem Abgang Costa‘s, der auch in Deutschland bekannte Sterndale Bennet. Da dies der beste Clavierspieler unter den Directoren d. ph. G. ist, so spielt er gewöhnlich auch 2 mal während der Saison. Es ist daher selbst für die Londoner einheimischen Virtuosen wie Hallé, Pauer und Benedict sehr schwer, in der ph. G. zum Auftreten zu kommen weshalb der letztere schon längst darauf verzichtet hat, und jedes Jahr ein eigenes Benefic-Concert giebt, was durch seine zahlreichen Schüler und deren Familien reichlich besetzt wird. Einem Fremden kann das aber nicht gelingen! Höchstens bringt er eine Matinée ohne Begleitung zu Stande; selbst die Schumann, der ein großer Ruf voraus ging, mußte sich damit begnügen, und hat deshalb auch nicht viel in London über ihre Kosten gewonnen. Ich würde Ihrem Herrn Sohn deshalb rathen, nicht eher nach London zu gehen, als bis er von der Ph. G[.] im Voraus die Zusage ausgewirkt hat, in einem ihrer Concerte auftreten zu dürfen. In diesem Jahre habe ich dieß für meinen Schüler J. Bott, Capellmeister in Meiningen, der Ende des Monaths nach London geht, ausgewirkt, was nur deshalb gelang[,] weil er ein Geiger ist, deren es unter den Directoren keinen giebt.
Übrigens wäre es auch für dieses Jahr schon zu spät, da die Concerte zur Hälfte schon vorbey und die Plätze für Solospiel, besonders beim Piano, sicher schon alle versagt sind. Das muß schon vor Weihnachten angegriffen werden, und ich bin gern erböthig, für Ihren Hrn. Sohn im nächsten Jahr2 einen Versuch in London zu machen.
Übrigens glaube ich, daß er als Komponist bey der Ph.G. weit eher reüssiren würde, als3 als Clavierspieler, da es in London eine große Anzahl ausgezeichneter Claviervirtuosen unter den englischen Künstlern giebt, aber in Komposition leisten sie nicht viel! Wenn es daher Ihrem A[lois]4 gelänge eine effektvolle Sinfonie oder ein gearbeitetes Clavierconcert mit Orchester zu schreiben, dessen Wirkung sich schon in Deutschland bewährt hätte, so könnte er damit sicher sein Glück in England machen!
Ich bitte nur, ihm den Inhalt dieses Briefes gefälligst mittheilen zu wollen und ihn als Entschädigung gelten zu lassen, daß ich für jetzt außer Stande bin, Ihren Wunsch zu erfüllen!
Leben Sie wohl. Hochachtungsvoll und freundschaftlichst
 
ganz der Ihrige
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Schmitt, Aloys
Erwähnte Personen: Bennett, William Sterndale
Bott, Jean Joseph
Costa, Michael
Hallé, Charles
Pauer, Ernst
Schmitt, Georg Alois
Schumann, Clara
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: London
Erwähnte Institutionen: Philharmonic Society <London>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1858041615

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Schmit an Spohr. Schmitt beantwortete diesen Brief am 27.04.1858.
 
[1] Ergänzung nach Abschrift.
 
[2] „im nächsten Jahr“ über der Zeile eingefügt.
 
[3] „als“ über der Zeile eingefügt.
 
[4] Ergänzung nach Abschrift.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.04.2018).