Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochwohlgeborner Herr General-Musikdirektor!
Hochverehrter Herr!

Der hiesige Künstler-Verein hat den einstimmigen Beschluß gefaßt – u. das will bei 700 Mitgliedern etwas sagen! – für eine gute Sache ein gutes Werk aufzuführen, nämlich: für die, erst erregten, dann im Stiche gelaßenen u. darauf verjagten Schleswig-Holsteiner ein Concert zu geben. u. in demselben Ihr großes Oratorium: der „Fall Babels“ zur Aufführung bringen.1
Nun aber fehlt es an den Orchesterstimmen, u. um der guten Sache so wenig Kosten als möglich zu verursachen, ergeht meine ergebene Bitte im Namen des Vereins u. im Hinblick auf den lohnenden Zweck, dahin: Hätten Ew. Hochwohlgeb. wohl die Güte, uns auf einige Wochen dieselben leihweise hieher schicken zu lassen? Um Ew. Hochwohlgeb. nicht zu belästigen wurde vorher nach Braunschweig diesehalb geschrieben , es kam aber die Antwort zurück: daß bei der dortigen Aufführung des „Fall Babels“, die Orchesterstimmen von Caßel gekommen wären. Dies war der hautpsächliche Grund uns nun auch an die gütige Quelle selbst zu wenden, u. wir hoffen: gewiß nicht vergebens.
Da alle hiesigen Kräfte zur Mitwirkung bereitwillig zugesagt, u. die große Tonschöpfung des würdigsten Meisters so gewaltig als möglich zur Geltung gebracht werden soll, so möchten wir ferner ergebenst gebeten haben, das Streichquartett in 5-6-facher Verdoppelung gefälligst beilegen zu lassen.
Die Vorproben (am Clavier) haben schon begonnen u. ich kann Ew. Hochwohlgeb. die Versicherung geben: selten wohl ist ein Werk mit solchem Eifer, hingebener Liebe, auf- und angenommen. Zu Schluß der Proben geschieht es oft, daß auf einstimmigen Wunsch der große Doppelchor wiederholt gesungen werden muß. Den gefeierten u. hochverehrten Schöpfer selbst gegenwärtig zu sehen ist der Wunsch Aller! Doch dies unschätzbare Glück muß wohl um so mehr ein frommes u. heiliges Wünschen bleiben wenn wir des schmerzlichen Unfall’s gedenken, der Ew. Hochwohlgeb. betroffen. Wenn aber allgemein Theilnahme lindern, mildern können – wahrlich! dann muß auch der heftigste Opfer-Schmerz gering erachtet werden; u. dies muß Ew. Hochwohlgeb. trösten, wie es uns selbst der reichste Trost ist. –
Da ich einmal im Wünschen u. Bitten bin, so muß ich Ew. Hochwohlgeb. noch eine Privat-Bitte, die ich schon lage gehegt, aber nicht den Muth des Aussprechens dazu hatte – ans Herz legen: durch Streben u. Ausdauer bin ich in den Beistz einer bedeutenden Autographensammlung gelangt2; zwar fehlen Ew. Hochwohlgeb. nicht darin, aber Eins fehlt mir, u. das ist die so tiefempfundene rühende Weise – unter den vielen, vielen! – der Emma (in den „Kreuzfahrern) mit welcher sie sich durch die Pförtnerin der Aebtissin ankündigt:

Darf ich Ew. Hochwohl. um diese wenigen (aber so reichen) Noten (etwa mit Clavierbegleitung) bitten? Natürlich setze ich voraus, daß Zeit u. Umstände es erlauben u. dazu auflegen. Daß diese Gabe mir ein theures Vermächtniß bleiben soll, versichere ich nicht, denn dies verbürgt schon die Gabe selbst, u. der Muth, diese Bitte überhaupt ausgesprochen zu haben. –
Gott sei mit Ihnen hochverehrter Herr u. Meister! Bleiben Sie der Kunst, u. denjenigen die Sie in Treu u. Wahrheit vertreten noch lange, lange ein leuchtender Stern. Bleiben Sie es umsomehr, da wir auf steilen u. sclimmen Wegen gehen. (Wohinaus das noch will! Ganz besonders aber schenke Ihnen der gütige Himmel dauernde Gesundheit, u. erhalte Ihnen die lebendige Geistesfrische! –
In vorzüglichster Hochachtung u. dankbarster Erinnerung habe ich die Ehre zu sein

Ew. Hochwohlgb.
ganz ergebenster
C. Kühn ../.3
Opernsänger.

Bremen d. 6t April 1858.

Ns. Die „Weihe der Töne“ ist neulich hier auch aufgeführt. Der tüchtige Kapellmeister Sobolewsky hat mit Ausdauer das Werk geübt. u. geleitet; die Wirkung steigerte sich aber noch bis zum Gewlatigen. Leider ist es mir nicht möglich gewesen die Jesonda4 in Scene zu bringen: da fehlt es an manchen Orten, u. – entweder würdig, oder gar nicht.

Autor(en): Kühn, Christian Carl
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Sobolewski, Eduard
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Der Fall Babylons
Spohr, Louis : Jessonda
Spohr, Louis : Die Weihe der Töne
Erwähnte Orte: Bremen
Erwähnte Institutionen: Engel'scher Gesangverein <Bremen>
Singakademie <Braunschweig>
Stadttheater <Bremen>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1858040645

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Kühn an Spohr, 29.09.1848.

[1] Vgl. F. Ruperti, „Spohr in Bremen“, in: Bremer Sonntagsblatt 6 (1858), S. 148f.

[2] „gelangt“ über der Zeile eingefügt.

[3] Bei dem Zeichen „./..“ handelt es sich um einen freimaurerischen Zusatz zur Unterschrift (Philippe A. Autexier, Lyra Latomorum. Das erste Freimaurerliederbuch. Masonica über Haydn Mozart Spohr Liszt, pdf-Version nach dem Typoskript im Deutschen Freimaurermuseum Bayreuth, S. 340 und 348).

[4] Sic!

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.07.2023).