Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Mein hochverehrter Meister!

Zu Ihrem Geburtstage erlaube ich mich Ihnen meinen herzlichsten Glückwunsch darzubringen, und freue mich, daß, Ihr Arm – wie ich höre – wieder gänzlich hergestellt ist. Auch sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank für Ihr Empfehlungsschreiben1 nach London, welches zur Folge gehabt hat, daß ich von der Direction der philharmonischen Concerte eine Einladung zum Solospiel erhielt. Ich werden den 10ten Mai wohl zuerst in London in einem philharmonischen Concerte spielen, und habe Ihr 10tes Concert wieder zu Vortrag gewählt. – Der Herzog war so gnädig mir die Verlängerung meines Urlaubs – der eigentlich erst den 1ten Juni beginnen soll – sofort zu bewilligen. Unsere Theater-Saison naht sich ihrem Ende und wird den 18ten d. M. die letzte Vorstellung stattfinden, worauf ich meine Reise antreten kann. – Sehr angenehm wäre es mir, wenn Sie mir an einige Ihrer Bekannten in London wenn auch nur wenige Zeilen mitgeben wollten. Ich werde meine Schwester kurz vor meiner Abreise bitten zu Ihnen zu gehen, um die Briefe bei Ihnen in Empfang zu nehmen, im Fall Sie so gnädig wären meine Bitte mir zu gewähren. Sollte ich jetzt Zeit finden – obgleich ich in den nächsten 14 Tagen dienstlich sehr beschäftigt sein werde – eine größere Violin-Composition doch noch nebenbei vollenden zu können, so würde ich auf einige Tage nach Cassel kommen, und dann selbst bei Ihnen vorsprechen. –
In dieser Woche werden wir 2 große Concerte und 2 Opern haben, was für Meiningen gewiß viel ist. Heute Abend ist bei Hofe Concert, und habe ich Ihre Ouverture zum „Berggeist“ auf’s Programm gesetzt. Das 2te Concert in dieser Woche ist die Aufführung des „Elias“, welche Donnerstag in der Schloßkirche statt finden soll. Ich habe dies Werk nicht am Charfreitag zur Aufführung bringen können, weil die hiesige Geistlichkeit – was zwar Geheimniß bleiben soll – dagegen war, und besonders nicht dulden wollte, daß in der Charwoche in einer Kirche Proben gehalten würden. Da ich es nun für höchst nöthig finde, daß wenigstens eine Probe an Ort und Stelle sein muß, so haben wir die Aufführung verschoben. Merkwürdige Ansichten haben diese Herren der Geistlichkeit doch manchmal, und habe ich mich2 auch nicht genirt dem Oberhofprediger3 zu sagen, daß mich eine solche Musik viel mehr erbaue, als eine seiner Predigten. Dem Herzog ist der Widerstand der Geistlichkeit in dieser Beziehung nicht in seinem Umfange mitgetheilt worden, da der Intendant4 der Hofcapelle und ich – als friedrich gesinnte Menschen – keinen Streit hervorrufen wollten, was in Aussicht stand, wenn wir den Herzog um seinen Beistand gebeten hätten.
Indem ich Sie ersuche mich Ihrer Frau Gemahlin sowie Frau v. Malsburg empfehlen zu wollen zeichne ich mit größter Hochachtung

Ihr
Verehrer & Schüler
Jean Joseph Bott.

Meiningen, den 4/4 58.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Bott an Spohr, 20.12.1857. Der nächste erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Marianne Spohr an Bott, 14.03.1859.

[1] Spohr an George Hogarth, 25.11.1857 sowie ein derzeit verschollener Brief von Spohr an Julius Benedict.

[2] „mich“ über der Zeil eingefügt.

[3] Constantin Ackermann.

[4] Rochus von Liliencron.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.02.2022).