Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.6 <Taubert 1858031514>

Sr. Wohlgeboren
Herrn Hofkapellmeister
Taubert
in
Berlin.


Cassel den 25sten März 1858.

Geehrter Herr College,

Seit der Kurfürst mich in den Ruhestand versetzt hat und ich später auch noch das Unglück gehabt habe, den Arm zu brechen, ist mir alles Selbstmusikmachen gelegt worden und es bleibt mir für meine alten Tage nur noch der Genuß des Musikhörens, dazu finde ich aber hier in Cassel nur selten Gelegenheit, besonders wenn von Neuen Sachen die Rede ist, denn unser Repertoir beschränkt sich immer nur auf das Alte, schon 1000 Mal Gehörte und Abgeleierte! Ich benutze daher meine nun endlich erlangte Reisefreiheit zu kleinen Excursionen in die Nachbarschaft, um interessanten Musikaufführungen beyzuwohnen. So hatte ich die Absicht zur Osterwoche nach Dresden zu gehen um dort Idomeneo von Mozart zu hören,nachdem ich am Charfreitage einer Aufführung meines Oratoriums „Des Heilands letzte Stunden in Magdeburg vorher beygewohnt haben würde. Nun erfahre ich aber durch Herrn Kapellmeister Reisiger, daß in der Osterwoche Idomeneo nicht gegeben werden kann, weil 2 der Hauptsänger, Tichaschek und die Bürde Ney bereits dann ihre Urlaubsreise angetreten haben.1 Mit der Reise nach Magdeburg bleibt es aber stehen, da ich nun von da näher nach Berlin habe, wie nach Dresden, so wägte ich die Osterwoche wohl dort zu bringen, wenn es etwas Interessantes und Neues in jener Zeit dort zu hören giebt – Deshalb bitte ich Sie um die Gewogenheit, mich noch vor meiner Abreise von hier, welche am Mittwoch der nächsten Woche stattfinden wird, wissen zu lassen, was etwa das Repertoire der Osterwoche bringen wird? wäre es etwa Ihre neue Oper Macbeth, so wäre mir das das Erwünscheste! außerdem wäre mir auch ein verspätetes Sinfonie-Concert der Hofkapelle, oder eine Aufführung des Dom-Chors sehr erwünscht! und lieb. Indem ich sehr dringend bitte mir das Repertoir der Osterwoche gefälligst einzusenden, bitte ich auch, mich wissen zu lassen, ob unsere Freunde, die Familie Wichmann, so wie der Concertmeister Ries mit den Seinigen in Berlin anwesend sind? Ferner, mir ein Hotel zu nennen, wo wir nicht zu entfernt vom Opernhause und dem übrig[en] Musikleben, wohnen könnten?
Indem ich wegen der vielen Bitten um Nachsicht ersuche, unterzeichne ich mit hochachtungsvoller Ergebenheit ganz

der Ihrige
Louis Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Taubert an Spohr, 28.11.1850. Taubert beantwortete diesen Brief am 27.03.1858.

[1] Vgl. Carl Gottlieb Reißiger an Spohr, 11.03.1858.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (30.10.2017).