Autograf: Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (D-Dl), Sign. Mscr.Dresd.App. 12,41e
Druck 1: Musiker-Autographen darunter viele eigenhändige Musikmanuscripte (= Katalog Liepmannssohn 174), Berlin 1910, S. 92 (teilweise)
Druck 2: Kurt Kreiser, Carl Gottlieb Reissiger. Sein Leben nebst einigen Beiträgen zur Geschichte des Konzertwesens in Dresden, Dresden 1918, S. 88f. (teilweise)
Inhaltsangabe: Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 392
[Beleg: Autographen-Sammlung enthaltend Musiker-Briefe und Musik-Manuskripte aus dem Nachlasse des berühmten Komponisten Louis Spohr (1784-1859) nebst Beiträgen aller Art (Fürsten, Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, Künstler, etc.) aus dem Besitz eines bekannten Berliner Sammlers. Versteigerung zu Berlin Montag, den 15. und Dienstag, den 16. Oktober 1894 (= Katalog Liepmannssohn), Berlin 1894, S. 63]
Werthester Freund und College!
Durch Ihren lieben Brief vom 10. Februar, worin Sie die für mich höchst erfreuliche Hofnung ausgesprochen in der Osterzeit Dresden zu besuchen, wenn Idomeneo zur selben Zeit hier gegeben werden könnte, kann ich Ihnen erst heute Antwort geben, da es nunmehr gewiß ist, daß Mad. Bürde-Ney bereits am 20 März zum letztenmal vor den Ferien singt. Tichatschek ist bereits beurlaubt. Es ist daher nicht möglich vor Ende Juni, wo alle Sänger wieder beisammen seyn werden, den Ideomeneo zu geben. Bei der traurigen Aussicht auf einen späten Sommer dürfte Ihnen diese Reisezeit recht willkommen seyn. Gute Gesangskräfte werden wir selbst zu unserm Palmsonntagskonzert nicht zeigen können, und wir haben bei der Wahl der aufzuführenden Werke darauf Rücksicht nehmen müßen. Wir geben S. Bach's Weihnachtsoratorium (etwas verkürzt, besonders in den(?) Arien) und die 9te Sinf. von Beethoven. Die in der Charwoche übliche Musik in der kathol. Kirche ist von gar keinem Werth.
Ihren Armbruch haben wir alle herzlich bedauert und uns ebenso herzlich gefreut, wenn wir hörten daß die Heilung glücklich vor sich ging. Ihre Pensionierung befremdete mich nicht, aber nur – weil sie – (der lieben Kunst sei es geklagt) zeitgemäß ist; allgemeine Geldcalamitäten veranlaßen jetzt auch allgemeine Kunstcalamitäten! O wir Armen! Wenn an einem Spohr so rücksichtslos gehandelt wird, was soll da meine Wenigkeit erwarten? - Aber ich beklage Ihre nunmehrige Unthätigkeit. Ich hofte, daß Sie auch bei Ihrer Pensionirung beauftragt werden würden, oder höflichst ersucht werden würden, das dortige Kunstgetriebe zu invigiliren1 und darauf einzuwirken. - Nun aber – kann jeder Künstler nur Glück wünschen, und Ihnen die wohlverdiente Ruhe gönnen, die Sie denn auch mit Gottes Hülfe noch recht lange genießen mögen. Dieß wünscht von ganzem Herzen unter den schönsten Grüßen an Ihre werthe Gemahlin
Ihr
alter treu ergebener Freund
CGReissiger
Dresden 11. März. 58.
Autor(en): | Reissiger, Carl Gottlieb |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Bürde-Ney, Jenny Tichatschek, Joseph |
Erwähnte Kompositionen: | Bach, Johann Sebastian : Weihnachtsoratorium Beethoven, Ludwig van : Sinfonien, op. 125 Mozart, Wolfgang Amadeus : Idomeneo |
Erwähnte Orte: | Dresden |
Erwähnte Institutionen: | Hofkapelle <Dresden> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1858031144 |
Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Reissiger, 10.02.1858.
[1] inviligiren = „worüber wachen oder Achtung geben” (Gedrängtes Deutschungs-Wörterbuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter, entstellenden fremden Ausdrücke zu deren Verstehen und Vermeiden, hrsg. v. Friedrich Erdmann Petri, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 257).
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (26.10.2016).