Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.4 <Kömpel 18580308>
Druck: H[ans] M[ichael] Schletterer, „Zur Erinnerung an Ludwig Spohr“, in: Grenzboten 42.2 (1883), S. 19-30, hier S. 27ff.
Beleg(?): „[Neue Spohr-Reliquien]“, in: Münchner neueste Nachrichten 18.05.1920, S. 2
Sr. Wohlgeb.
Herrn Kammermusikus
August Kömpel
in
Hannover.
durch Herrn
Tannenbaum
Cassel den 8ten März 1858.
Lieber August,
Da ich heute an Dich zu schreiben habe, so erinnere ich mich, daß ich Dir noch für Deine herzliche Theilnahme an meinem Unfall zu danken habe! Zuerst also meinen herzlichsten Dank für Deinen theilnehmenden Brief, den ich damals, wie ich ihn erhielt nicht beantworten konnte. Jetzt bin ich zwar von den Ärzten als geheilt entlassen, muß aber den gebrochenen Arm noch fortwährend in der Binde tragen und werde ihn zum Geigen, wohl nie wieder gebrauchen können, weshalb es wohl das letzte Mal gewesen seyn wird, daß ich in der Quartettparthie bey Frau von Malsburg in der Woche nach Weihnachten vor Zuhörern gespielt habe. So tragisch dieß auch für mich und meine Familie ist, so muß ich mich mit dem Gedanken trösten, daß es überhaupt nur wenigen Menschen vergönnt wird, so hoch ins Alter hinaus überhaupt noch musiciren zu können! und daß ich mich daher mit dem Genossenen wohl begnügen kann! Bey alledem werde ich versuchen, ob ich von meiner früheren Fertigkeit im Geigen, durch neue Studien so viel wiedergewinnen kann, um mit meiner Frau privatim musiciren zu können, was ihr immer so viel Freude machte, und worum ich sie nicht gern ganz bringen mögte. Ich werde jeden Morgen von nun an, daher einen Versuch zum Geigen machen und hoffe es durch Ausdauer dahin zu bringen, daß ich das Genannte erreiche! - Doch nun, zum eigentlichen Gegenstand dieses Schreibens.
Der Überbringer dieses Briefs1 ist einer meiner bisherigen Schüler und zwar einer der am meisten begabten! jedenfalls sehr eifrig und fleißig! Er wünscht sehnlichst bey Dir seine Studien fortzusetzen, weil Du meiner Schule, wie er gefunden, so oft er Dich hier gehört hat,2 von allen meinen Schülern am treuesten geblieben bist. Er kommt deshalb um Dich zu bitten, ihn als Schüler anzunehmen, selbst nach Hannover, um zugleich Erkundigungen einzuziehen, wie viel ihm sein dortiger Aufenthalt im Ganzen wohl kosten könne? Er ist nämlich Jude und hat den Unterricht bisher gratis bey mir gehabt. Jezt haben sich aber einige reiche Judenfamilien seiner angenommen, die den Unterricht bezahlen und die übrigen Kosten des Aufenthaltes in Hannover tragen wollen. Meine Bitte ist nun, daß Du ihn nicht zurückweisest, denn er ist, wie gesagt, nicht ohne Talent und sehr eifrig und wird Dir daher Ehre machen! Prüfe ihn nur.
Ich hätte so große Lust Dich einmal wieder zu hören. Würde es Dir nicht auch Vergnügen machen, wieder einmal hier in unserm Abonnementsconcert zu spielen? Gewiß würde3 der Herr4 Amtsrath5 gern mit Dir herreisen! Du weißt, daß wir Dir kein Honorar offeriren können. Es haben aber bereits 4 fremde Künstler hier concertirt, die ihr Weg hier durchführte, und die deshalb auf das Honorar verzichteten. Überleg es Dir einmal und schreib mir, ob und wann es seyn kann. Wir haben noch nach dem Charfreitage, wo Mendelssohn Elias gegeben wird, die 2 letzten Abonnementconcerte.
Lebe wohl lieber August und theile gefälligst den Inhalt dieses Briefes dem Herrn Amtsrath mit.
Mit herzlicher Liebe ganz
der Deinige
Louis Spohr.
Autor(en): | Spohr, Louis |
Adressat(en): | Kömpel, August |
Erwähnte Personen: | Lueder, Christian Friedrich Malsburg, Caroline von der Spohr, Marianne Tannenbaum, Jacob |
Erwähnte Kompositionen: | Mendelssohn Bartholdy, Felix : Elias |
Erwähnte Orte: | Hannover Kassel |
Erwähnte Institutionen: | Hofkapelle <Kassel> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1858030810 |
Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Kömpel an Spohr. Der nächste belegte Brief dieser Korrespondenz ist Kömpel an Spohr, 04.04.1858.
[1] Jacob Tannenbaum.
[2] Hier gestrichen: „meiner Schule“.
[3] „würde“ über der Zeile eingefügt.
[4] „Herr“ über der Zeile eingefügt.
[5] Christian Friedrich Lüder.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (20.09.2017).