Autograf: Musikhistorisk Museum og Carl Claudius samlings København [Musikhistorisches Museum und Carl Claudius Sammlung Kopenhagen] (DK-Km), Sign. Archive, letter no. 231

Cassel den 25sten Februar
1858.

Hochgeehrter Herr Etatsrath,

Wenn es mich auch sehr interessirt hat, aus Ihrem geehrten Schreiben zu ersehen, daß Sie als Beamter und Dilettant mit Eifer mein Instrument cultiviren, ja sogar über Geigenbau nachgedacht, und etwas darüber geschrieben haben, so fühle ich mich doch nicht im Stande darüber ein competentes und wertvolles Urtheil abzugeben, indem ich mich, im Besitz eines itänischen ausgespielten Instruments von Stradivari nie viel um den jetzigen Gegeinbau bekümmert habe und davon nicht mehr weiß wie jeder andere Geiger auch. Der einfache Grund davon ist, daß ich den modernen Geigenbau, so weit es auch einige Französische und auch mehrere mir bekannte deutsche Meister darin gebracht haben, für die jetzt lebenden Geiger für nutzlos halte, indem sie es nicht erleben werden, daß die jetzt verfertigten Instrumente gehörig ausgespielt werden, und folglich nur unsern Nachkommen zu Gute kommen werden, denn dann nach unsrer Zeit, wo die Italiänischen Instrumente wahrscheinlich ruinirt seyn werden, es sehr zu gönnen ist, daß es dann Instrumente von den jetzt lebenden guten Meistern geben wird, die zur Zeit noch zu wenig ausgespielt sind und daher die alten nicht ansetzen können.
Sie sehen aus dem Vorstehenden, daß ich nicht der rechte Mann bin, um über Ihr Werk über den Geigenbau ein genügendes Urtheil auszusprechen und daß es daher unnütz wäre, wenn Sie es mir vor der Veröffentlichung zur Ansicht zuschicken wollten! Sie werden dazu in Ihrer Hauptstadt leicht eine fähigere Person auffinden können!
Übrigens habe ich mich über Ihre1 Zuschrift und deren weitern Inhalt sehr gefreut und bedaure nur Ihnen anzeigen zu müssen, daß ich durch einen unglücklichen Fall vor kurzem den Arm brach2, und in Folge davon das Geigen ganz aufgegeben habe, was mich um so mehr geschmerzt hat, da ich troz meiner 73 Jahre noch immer in unsern Quartettparthien die erste Stimme, selbst bey den schwersten meiner Quartetten, ausführen konnte, indem ich von den Gebrechen des Alters bis dahin ganz frei geblieben war. Jetzt freilich muß ich nun auf alles Musiciren und komponiren Verzicht leisten, habe auch bereits alle meine Schüler, deren immer noch einige anwesend waren, fortschiken müssen! und bin nur noch auf das Musikhören beschränkt.
Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie meinen dortigen Freunden Hartmann und Gade, von diesen, für mich so beklagenswerthen Unfalle Kentniß gäben!
Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr
ergebener
Louis Spohr.
Generalmusikdirector und
Hofkapellmeister a.D.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Weis, Carl
Erwähnte Personen: Gade, Niels
Hartmann, Johan Peter Emilius
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1858022519

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Weis an Spohr, 04.02.1858.

[1] „Ihre” über der Zeile eingefügt.

[2] Vgl. „Kurhessen. Kassel, 28. Dec.”, in: Leipziger Zeitung (1857), S. 6483; „Cassel, den 28. December”, in: Neue Berliner Musikzeitung 12 (1858), S. 14; s.a. „Der alte Spohr in Kassel hat beim Ausgleiten auf einer Treppe den Arm gebrochen. Ein Liszt bricht höchstens einen Flügel” (Münchener Punsch 11 (1858), S. 16). 

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.12.2016).