Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

S. d.
Herrn
General-Musikdirector
Dr Louis Spohr
Cassel

fco1


Hamburg, 11 Januar 1858
8 Deichthorstrasse

Hochgeehrter Herr Kapellmeister,

Mit tiefer Betrübniß lasen wir vor einigen Tagen in den hiesigen Blättern von dem Unfalle, der Sie neulich beim Fortgehen aus dem Lesemuseum betroffen; und wenn wir auch glauben und hoffen, daß der gebrochene Arm sich in nicht gar zu langer Zeit wird wiederherstellen lassen, insofern wenigstens, um Ihnen zu erlauben, mit dem Arm in einer Binde sonst unbehindert umherzugehen, so ist es doch ziemlich sicher anzunehmen, daß Ihnen vielleicht für längere Zeit jedes Musiciren untersagt sein wird, und das Verbot dieses Genusses ist es hauptsächlich was ich so sehr beklage. Wie große Freude würde es mir und uns Allen machen, zu erfahren, daß die Angelegenheit sich vielleicht nicht so schlimm macht, als wir hier, – gänzlich ohne detaillierte Nachrichten –, es anzunehmen leider gezwungen sind.
Auch hinsichtlich Ihres Verhältnisses zum Churfürsten und zum Theater circulirten hier neulich die verschiedenartigsten Gerüchte von Ihnen zugefügter Unbill, und mögen Sie annehmen, werther Herr Kapellmeister, wie sehr es, bei dem großen Interesse welches wir an Allem was Sie betrifft erfahren, uns freuen würde, zu erfahren, daß entweder diese Gerüchte gänzlich erfunden sind, oder daß Sie die Prätensionen und Eingriffe des Churfürsten gebührend zurückgewiesen haben; wie fatal, daß Sie auch immer mit solchen unangenehmen Sachen geplagt sein müssen.
Vor allen Dingen erlauben Sie mir aber, mein lieber Herr Kapellmeister, Ihnen so recht von Herzen für das überaus große und freundliche Interesse zu danken, welches Sie, wie vor 8 Jahren so noch heute, stets meinen Angelegenheiten bewiesen haben, und in Ihrem neulichen lieben Briefe wieder bethätigen; wie wünschte ich, Ihnen meine große Freude über Ihre gütige Theilnahme noch besser ausdrücken zu können, als durch meine unbegrenzte Verehrung und Hochachtung für Sie!
Seit ich vor 5/4 Jahren es aufgeben musste, die Musik als meinen Lebensberuf zu betrachten, arbeite ich hier in einem kaufmännischen Geschäft, und muß ich offen gestehen, daß ich, selbst wenn die Schwäche in meinen Händen sich einmal ganz verlieren sollte, doch meinen Beruf nicht zum zweiten Male wechseln würde, da ich gefunden habe, daß man als Dilettant gerade so viel Vergnügen an Musik haben kann, wie als Künstler, und das letztere zu sein in jetziger Zeit auch recht viel Unangenehmes & Peinliches hat. Mein jetziger Wirkungskreis gestattet mir nicht, gerade sehr viel Zeit auf Cello-Spiel zu verwenden, doch glaube ich, es durchzusetzen, daß ich wenigstens nichts verloren. Leider hat man hier fast keine Gelegenheit, Quartett zu spielen, die Musiker sind alle zu beschäftigt & besonders zu indolent, um Vergnügen daran zu finden, und da denke ich dann immer noch mit großem Behagen an die herrlichen Quartette zurück, die ich mit Ihnen habe spielen dürfen; ich will nur hoffen, daß Sie dieses Ihr Hauptvergnügen nicht zu lange gezwungen sein werden, zu entbehren.
Die neulich hier stattgehabte große Geschäfts-Crisis ist in ihren Auswirkungen bedeutender gewesen, als man im Auslande wohl glauben wird, und hat auch auf mich in sofern einen recht nachtheiligen Einfluß gehabt, als auch mein Principal gezwungen wurde, seine Zahlungen einzustellen, wodurch meine Position vor der Hand etwas unsicher geworden ist; jedoch bleiben einem in einer Handelsstadt wie Hamburg als Kaufmann viele Chancen, und so denke ich, wird auch mein Verhältniß sich recht bald hoffentlich wieder günstiger gestalten. – Die allgemeine Stimmung ist übrigens immer noch so gedrückt, daß außer den bereits im Herbst annoncirten philharmonischen Concerten, so wie denen von H. Otten, wohl kaum ein ordentliches Concert wird zu Stande kommen können. An hervorragenden fremden Talenten hatten wir bis jetzt nur Wieniawsky hier, und den famosen Contrabassisten Bottessini.
Haben Sie schon Ihre Reisepläne für den künftigen Sommer gemacht? Sie müssen sich doch nun jedenfalls auf alle mögliche Art zu entschädigen suchen für die Ihnen auferlegte Zeit der Ruhe.
Was Ihren kleinen Pathen anbelangt, so würden Sie sich freuen, den kleinen liebsten Bengel zu sehen; ob er ein tüchtiger Violinspieler werden wird, läßt sich noch nicht mit Bestimmtheit ermitteln vorläufig sucht er nur seine Stimmmittel möglichst zur Stellung zu bringen.
Schließlich bitte ich Sie noch, hochgeehrter Herr Kapellmeister, unser aller Wünsche für Ihre recht recht baldigen Wiederherstellung entgegen zu nehmen, so2 wie die freundlichsten Empfehlungen an Frau Kapellmeister, von

Ihrem Sie hoch verehrenden
Bernard Hildebrand.

Autor(en): Hildebrand-Romberg, Bernhard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Bottessini, Giovanni
Friedrich Wilhelm Hessen-Kassel, Kurfürst
Otten, Georg Dietrich
Wieniawski, Henryk
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1858011143

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Hildebrand-Romberg an Spohr, 08.10.1856.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „HAMBURG / 12 / 1 / 1858 / 4-5N“, auf der Rückseite des zusammengefalteten Briefumschlags befindet sich der Stempel „CASSEL / 13 / 1 / 1858 / 5-6V(???)“.

[2] Hier gestrichen: „s“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.02.2024).