Autograf: Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (D-Ju)

Sr. Wohlgeboren
Herrn Professor Dr. Brugger
Prediger der deutsch katholi-
schen Gemeinde
zu
Heidelberg.


Cassel den 5ten December
18571

Hochgeehrter Herr
Professor,

Wenn es mir begriflich schon immer eine Freude macht, wenn ich von mir Unbekannten höre, daß sie Interesse an meiner Musik nehmen die in meinem Vaterlande weniger gekannt, geliebt, und verbreitet ist, als in benachbarten Ländern, z.B. England, so hat mir Ihre freundliche Zuschrift außer dieser Freude auch noch Ihre freundlichen und interessanten Gaben gebracht, und ich bin Ihnen daher zu doppeltem Danke verpflichtet.
Wenn es im Leben überhaupt2 ein unangenehmer Moment ist, wegen vorgerücktem Alters in den Ruhestand gesetzt zu werden, so habe auch ich dem unangenehmen Gefühl dieses Eindrucks nicht ausweichen können, obgleich ich körperlich und geistig noch so rüstig bin, daß ich in unsern musikalischen Zirkeln noch immer meine Kammermusik für Violine selbst vortragen kann, ja so gar noch in neuester Zeit3 deren neue geschrieben habe, so fühle ich doch deutlich, daß ich im künstlerischen Schaffen das Höchste erreicht habe, was mir überhaupt zu erreichen vergönnt ist, und so muß ich mich denn mit dem Gedanken trösten, daß unter dem, was ich bis hieher geschaffen habe, manches ist, was auch die Kunstfreunde meines Vaterlandes befriedigen kann und daß ich daher nicht umsonst gelebt habe!
In diesen Gedanken hat mich auch Ihr lieber Brief bestätigt und daher nochmals den herzlichsten Dank.
Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr
ergebener
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Brugger, Josef
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1857120519

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Brugger an Spohr, 27.11.1857.

[1] Die Ziffer für den Tag könnte auch als „3” oder „9” gelesen werden, die vorletzte Ziffer der Jahreszahl auch wie die nachfolgende Ziffer als „7”. Die Lesart als „5ter December 1857” ergibt sich daher auch aus dem Poststempel.

[2] Hier nach gestrichen: „im Leben”.

[3] „Sogar noch in neuester Zeit” über die gestrichenen Wörter „immer noch” geschrieben.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.06.2017).