Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Danzig, den 2. December 1857.

Hochverehrter Herr General-Musik-Direktor!

Unmöglich kann ich diesen Zeitpunkt vorüber gehen lassen, ohne Ihnen, im aufrichtigsten Gefühle dankbarer Verehrung, meinen herzlichsten Antheil auszusprechen, zugleich das tiefste Bedauern über Ihren erfolgten Zurücktritt aus einer Stellung, welche eine so lange Reihe von Jahren hindurch Zeuge Ihres hohen Kunstruhmes war. Der Verlust, welchen die Casseler Hofkapelle durch den Abgang ihres berühmten Meisters erleidet, ist ein schwerer und unersetzlicher, aber freilich, wer wollte es dem Meister mißgönnen, daß er den Abend seines thätigen, den edeltsten, reinsten Kunstwerken gewidmeten Lebens in ungestörter Ruhe zu verleben wünscht! Mögen denn noch viele glückliche Jahre, hochverehrter Meister, Sie erfreuen, das ist mein innigster Wunsch. –
Die Wiederbesetzung der von Ihnen aufgegebenen Kapellmeisterstelle, wenn eine solche überhaupt jetzt beabsichtigt werden sollte, dürfte große Schwierigkeiten haben, denn wo findet sich in Deutschland ein Künstler, welcher die Autorität eines so berühmten Mannes aufzuweisen hat? Doch wird es an zahlreichen Bewerbern nicht fehlen, deren auch ich mich anschließen möchte, gestützt auf Ihr mir bewiesenes Wohlwollen und auf die durch Ihre Güte mir gewordene Auszeichnung, im vorigen Winter mein Oratorium im Hoftheater zu Cassel selbst leiten zu dürfen. Vielleicht haben Sie, hochgeehrter Herr Doctor, die Güte, mich von dem Stande der Dinge dort in Kenntniß zu setzen und, falls Bewerbungen überhaupt angenommen werden, die meinige durch Ihren gewichtigen Einfluß zu unterstützen. Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir auch eine Anfrage über das Schicksal meiner Oper: „der König von Zion“, deren Partitur Sie an sich zu nehmen die Güte hatten. Sollte sich der Intendant, Herr v. Heeringen, veranlaßt fühlen, dieselbe in Scene gehen zu lassen, so würde ich mir eine Ehre daraus machen, die Aufführung persönlich zu leiten und dadurch vielleicht dem von mir gewünschten Ziele näher rücken. – Ich bin jetzt mit Arbeiten überhäuft und die mir bleibende geringe Mußezeit wird durch das Arrangement der Beethovenschen 9 Sinfonien für das Pianoforte zu 2 und 4 Händen, welches ich für den Verleger Holle in Wolfenbüttel schreibe, vollständig ausgefüllt. Noch vor Jahresschluß wird die ganze zweihändige Ausgabe versendet(?). Die vierhändige wird bis Ostern erschienen sein. Ich bin jetzt bis zur C moll-Sinfonie à quatre mains vorgedrungen. Das Arrangement ist eine sehr mühevolle und umfangreiche, freilich auch interessante Aufgabe. –
Indem ich, hochgeehrter Herr General-Musikdirektor, um die Fortdauer Ihres mir so freundlich bewiesenen Wohlwollens bitte und recht bald einigen Zeilen entgegensehe, füge ich die Bitte hinzu, mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin angelegentlichst empfehlen zu wollen und nenne mich in dankbarer verehrung und ausgezeichneter Hochachtung

Ihren
ganz ergebensten
FWMarkull.

Autor(en): Markull, Friedrich Wilhelm
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Heeringen, Josias von
Erwähnte Kompositionen: Markull, Friedrich Wilhelm : Das Gedächtnis der Entschlafenen
Markull, Friedrich Wilhelm : Der König von Zion
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Kassel>
Hoftheater <Kassel>
Holle <Wolfenbüttel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1857120243

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Markull an Spohr, 27.11.1856. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Markull an Spohr, 31.10.1858.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.01.2022).