Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochgeehrtester Herr Capellmeister!

Bei meiner Abreise von Cassel waren Sie so gütig mir zu versprechen an Benedict wegen eines ersten Auftretens in London zu schreiben. Ich erlaube mir nun hiemit Sie nochmals daran zu erinnern, und bitte auch Benedict gefälligst mittheilen zu wollen, daß ich Mitte Mai in London eintreffen würde. – Im Februar werde ich in Hamburg in einem Otten’schen Concerte1, – die den dortigen philharmonischen jetzt sehr den Rang streitig machen, mehrere Piecen vortragen. Als erste Piece habe ich Ihr 10tes Concert gewählt. – Seit 3 Wochen haben hier die Theatervorstellung ihren Anfang genommen. Das Schauspiel ist recht gut, aber die Oper könnte besser sein. Besonders wäre den beiden Tenoristen2 etwas mehr Stimme zu wünschen, obgleich mir der erste Tenor mit seiner ziemlich abgesungenen Stimme noch lieber ist als Schloß. – Sonntag hatte ich trotz den nicht glänzenden Kräften eine recht gute Vorstellung der „Stumme von Portici“ herausgebracht, so daß ich schon nach dem ersten Acte in die Herzogliche Loge gerufen wurde, wo mir der Herzog wegen der Leistungen des Orchesters und des Ensemble, grosse Schmeicheleien machte. – Viel Freude gewährt mir ein erst errichteter Gesang-Verein, der stolze 150 tüchtige Mitglieder zählt. Mit demselben werde ich in einem der Hofcapell-Abonnements-Concerte –, die ich auch erst ins Leben gerufen habe – „Erlkönigs Tochter“ und am Charfreitag „Elias“ zur Aufführung bringen. Im Jahre darauf wird dann ein Oratorium von Ihnen aufgeführt werden. Man kann also vorläufig mit dem musikalischen Leben hier zufrieden sein, besonders da sich nach allen Seiten hin viel Theilnahme zeigt. Auch die Mitglieder der Hofcapelle legen sehr viel Eifer an den Tag, was früher nicht der Fall gewesen sein soll. – Einen sehr liebenswürdigen Intendanten haben wir in der Person des Baron von Liliencron, Kammerherr des Herzogs. Derselbe ist ein ganz guter Klavierspieler und hat ein sehr richtiges Urtheil über Musik. Er war noch vor kurzer Zeit Professor in Jena, und ist einer der von der dänische Regierung vertriebenen Kieler Professoren. Als ich gestern zufällig bei ihm erwähnte, daß ich an Sie schreiben werde, bat er mich, unbekannter Weise Empfehlungen an Sie auszurichten und Ihnen seine Hochachtung in seinem Namen bezeugen zu wollen. –
Indem ich Sie nochmals ergebenst ersuche doch recht bald nach London schreiben zu wollen, bitte ich Sie mich Ihrer Frau Gemahlin zu3 empfehlen und verbleibe mit der größten Hochachtung

Ihr
ergebenster
Jean Joseph Bott.

Meiningen, den 1ten December 1857.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Bott an Spohr, 05.04.1857. Spohr beantwortete diesen Brief am 04.12.1857.

[1] Vgl. „[Im 10. Abonnementconcert des Hrn. Otten]“, in: Neue Zeitschrift für Musik 48 (1858), S. 98.

[2] Baumhauer und Schloßer (vgl. Deutscher Bühnen-Almanach (1857), S. 252).

[3] „zu“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.02.2022).