Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochgeehrtester Herr!

Entschuldigen Sie wenn ich es wage, Sie mit einer heißen Bitte zu belästigen, und die, wenn Sie dieselbe mir gewähren wollten, gewiß eine große unendliche Freude mir für immer bereiten würden.
Sie werden wohl auch schon von unsren großen eidgenössischen Sängerfesten etwas gehört haben, wobey am ersten Tag des Festes ein jeder Verein um den 1 ten gekrönten Preise kämpft, und dieser Kampf mit1 einem schönen 4 stimmigen Maennerchor beginnt, den man vorher dem Kampfgericht einsendet und da dann2 so recht(?) ausgezeichnet gesungen werden muß, wenn dasselbe den 1ten Preis erfüllen sollte3 um dieses nur zu erringen, muß man vor Allem erst(?) eine Composition haben, und dieses großer Meister ist meine innigste Bitte, die ich an Sie stelle.
Würden Sie sich vielleicht herab-lassen und mir für das nächste eidgenössische Sängerfest in Zürich 1855 entweder einen kräftigen Männerchor (ohne Begleitung) mit einem reichen Mittelsatz und kräftig am Schluß componiren; oder einen Religiösen Satz auch kräftig und höchstens 8-9 Minuten lang, doch muß der4 nur würdig u gediegen sein, in Müller vd Werra Liederhort Seite 194 Hymne würde mir von Ihrer Meisterhand bearbeitet ausgezeichnet gefallen oder so ungefähr in diesem Genre. Doch dürfte es ein anders kräftiges Musikstück seyn ein Schlaflied pp
Sie werden wohl etwas erboßt seyn, daß ich eine so große Bitte an Sie wage allein verehrtester Meister um Ihnen mit der Wahrheit herauszurücken muß ich Ihnen gestehen, daß ich schon von Jugend auf große Vorliebe für Ihre wunderbar schönen Compositionen hatte und seit meinem 9jährigen Wirken hier folgende Werke von Ihnen zur Aufführung brachte nämlich eine Hymne für Soli u gemischten Chor, 2tens Ihre erhabene wundervolle3 Jessonda 2 mal6, die letzten Dinge7, den Fall Babylons, und letzten Winter Ihr so fromm und seelenvolles Vater Unser für gemischten Chor was wir auch schon zweimal gemacht haben; nur bemerke ich daß man Schleßinger in Berlin wegen dem elenden Druck öffentlich plamiren sollte.
Dieses der eine Grund so glücklich zu seyn einen 4 stimmigen Maennerchor ohne Solo Quartett & Begleitung von Ihnen8 zu besitzen.
Der Grund den ich Ihnen als zweiten melde ist der, daß ich voriges Jahr meinen besten Freund und ich darf es sagen meinen zweiten Vater. P. von Lindpaintner von Stuttgart in meiner Nähe verloren habe, der so freundlich war mir Sommer9 1850 u 1852 zwei solche Compositionen zusandte, mit denen ich den 1ten gekrönten Preiße um10 Sieg davon getragen habe, was ihn unendlich freute, und was ich Ihnen noch durch seine Briefe beweisen kann! Er lebt nur hinwieder nicht mehr und ich stehe in dieser Beziehung so ganz allein dar, wo ich sonst bei Ihm mir so manchen guten Trost und Ruhe(???) habe holen können. Aus diesen beiden Gründen nun, hochgeehrtester Herr wage ich es diese Zeilen an Sie zu richten, mit der innigsten Bitte, Sie möchten wenn es Ihnen einigermaßen möglich ist, meinem heißesten Wunsche willfahren. Unser Verein zählt so 46 Maennerstimmen und Sie dürften schon bischen schwer schreiben, aber bitte ja nicht zu tief die Feder eintauchen damit es nicht zu schwer werde.
Nehmen Sie es daher nicht ungehalten auf, daß ich mir die Freiheit nehme meine Bitte Ihrem vorzubringen, und verzeihen Sie mir daß ich Sie so lange mit diesem Schreiben belästigte, und sollten Sie allenfalles geneigt seyn, mir es durch 2 Zeilen wißen zu laßen, damit wir uns Alle recht darauf freuen könnten, wenn Sie uns allenfalles etwas componiren wollten.

Mit vorzüglicher Hochachtung
zeihnet ganz ergebenster
B. Bogler
Musikdirektor des Frohsinn.

St. Gallen am 20 September
1857.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Bogler an Spohr, 04.12.1854.

[1] „mit“ über der Zeile eingefügt.

[2] „dann“ über der Zeile eingefügt.

[3] „sollte“ über der Zeile eingefügt.

[4] Hier gestrichen: „Takt nicht“.

[5] Hier drei Buchstaben gestrichen.

[6] Vgl. „Jessonda (Konzert des ,Frohsinns’ in St. Gallen vom 26. Dezember 1852)“, in: St. Galler Zeitung (1852). S. 1272.

[7] Vgl. „St. Gallen, den 8. April“, in: St. Galler Zeitung (1854). S. 340; „Eingesandt“, in: ebd., S. 359f.; Konzertanzeige in: ebd., S. 360; „St. Gallen“, in: ebd., S. 827.

[8] „von Ihnen“ über der Zeile eingefügt.

[9] „Sommer“ über der Zeile eingefügt.

[10] „Preiße“ über, „um“ unter der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.07.2021).