Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Euer Hochwohlgeboren,
Hochverehrtester Herr Generalmusikdirektor!

Im Hinblick auf beiliegende Zeilen, unseres Freundes und Gönners, Herrn Generalmusikdirektors Franz Lachner in München1, sowie auf die angebogenen, von bedeutenden Namen unterzeichneten Gutachten2 erlauben wir uns hiemit, uns schriftlich bei Ihnen vorzuführen und auch Sie mit dem darin erwähnten Werke, sowie unserem daran sich knüpfenden Anliegen bekannt zu machen.
Es sind jetzt nämlich etwa anderthalb Jahre, daß wir unsere gemeinsam ausgearbeitete Clavierschule der Cotta’schen Verlagshandlung übergaben, welche derselben sogleich das wärmste Interesse zuwandte – bey einer Firma wie J.G. Cotta eine gewichtige Empfehlung. Die Auflage wurde überaus stark, die Ausstattung elegant, und der namhaften Meister, welche sich bis jetzt daran betheiligten,, vollkommen würdig. Es haben nämlich Benedikt3, Faißt4, Herzog5, Hiller6, Wilh. Krüger7, Franz8 u. Ignaz Lachner9, Moscheles10 u. Speidel11 unser Werk durch eigne dazu geschriebene Compositionen geehrt; Vinzenz Lachner, Taubert u. Andere haben solche zugesagt12, und wir wenden uns nun an Ew. Hochwohlgeb. mit der Bitte, uns nicht nur ebenfalls mit einer solchen Ehre zu erfreuen, sondern auch das Werk selbst Ihrer Beurtheilung unterwerfen zu wollen. Dasselbe bezweckt nicht nur die höchste technische Vollendung, sondern vielmehr auch, letztere auch auf dem Gipfel des für musikalischen Geschmackes und Denkens überhaupt; es fußt darum auf dem Studium unserer Classiker als der alleinigen Basis für eine gedigene Fortbildung der Tonkunst, unsere Richtung ist die gleiche mit derjenigen unserer genannten Freunde, und in Ihnen selbst ehrt sie einen ihrer ersten Vertreter und Vorkämpfer, dessen Urtheil uns nicht gleichgültig sein kann. Die bisherigen Begutachtungen sollen Sie jedoch durchaus nicht bangen, da wir sie ja nur zur Rechtfertigung unseres Beginnens beilgten; im Gegentheil: nur eine scharfe, strenge Beurtheilung kann uns erfreuen, sollte dieselbe auch motivirten Tadel einschließen; sollte sie aber ebenfalls günstig ausfallen, so würde uns das mit desto froherem Stolze erfüllen. Ob wir Ihnen hiezu nun das Werk durch die Cotta’sche Verlagshandlung zur Einsicht dürfen übersenden lassen, bitten wir Sie, uns ungehend anzuzeigen, ebenso, ob Sie geneigt wären, ebenfalls eine noch ungedruckte, etwa 2-3 Seiten haltende Claviercomposition in den Anhang zu stiften, der diese freundlichen Beiträge in alphabetischer Ordnung enthalten wird und dessen ersten Bogen bereits unter der Presse sind.
Indem wir schließlich ersuchen, unsere Bitte freundlich aufnehmen und gewähren zu wollen, verbeliben wir mit ausgezeichneter Hochachtung und Verehrung
Euerer13 Hochwohlgeboren

ergebenste
Sigmund Lebert und
Ludwig Stark.
Adresse: Stuttgarter Musik-
Schule, Eberhardstrasse No 1.

Stuttgart, den 24. Aug.
1857.



Spohr beantwortete diesen Brief am 02.09.1857.

[1] Franz Lachner an Spohr, 20.03.1857.

[2] Vgl. Sigmund Lebert und Ludwig Stark, Grosse theoretisch-praktische Klavierschule für den systematischen Unterricht nach allen Richtungen des Klavierspiels vom ersten Anfang bis zur höchsten Ausbildung, Bd. 1, 2, und 3, Stuttgart 1858, hier Bd. 1, S. VII-X.

[3] „Etude für die linke Hand allein“, in: ebd., Bd. 3, S. 81ff.

[4] „Introduction und vierstimmige Doppelfuge“, in: ebd., S. 83-89.

[5] „Fuge“, in: ebd., S. 89ff.

[6] „[Andantino]“, in: ebd., S. 91ff.

[7] „[Andantino alla Pastorale]“, in: ebd., S. 93-96.

[8] „Praeludium“, in: ebd., S. 97-100.

[9] „Canon“, in: ebd., S. 100f.

[10] „Konzert-Etüde“, in: ebd., S. 102-106.

[11] „[Etüden]“, in: ebd., S. 107-116.

[12] Offensichtlich nicht erschienen.

[13] Sic!

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (23.06.2022).