Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochwohlgeborner
Hochverehrtester Herr Hof-Kapellmeister
und General-Musikdirektor!
 
Mit der größten Hochachtung erlaube ich mir die Freiheit auf Ihre gütigen Erlaubniß, welche ich durch Herrn Knoop Violoncelist bei Ihnen erlangte, zwei von mir verfertigte Violinen an Ew. Hochwohlgeboren zur Prüfung abzusenden. Hochverehrtester Herr!
Mit der größten Hochachtung wage ich es nun meine innigste Bitte an Eure Hochwohlgeboren ans Herz zu legen, und zwar folgend: diese beiden Violinen wenn es Ihnen Ihre kostbare edle Zeit erlaubt zu probiren und in Augenschein nehmen, und mir Ihr entschiedenes Urtheil durch ein Zeigniß zu geben, und da ich eben schon seit dem Tode meines berühmten Meisters Vauchel noch in dieser Werktstätte allein fürmich verlassen bin, und auch nur sein einziger Schüler bin welcher Er seine Kunst-Vortheile mitteilte, so ist es mir von sehr großem Nutzen und Glücke, wenn ich ein Zeugniß von Ihnen Hochverehrtester Herr in meine Hände bekomme. Ich erlaube mir nun mit der größten Hochachtung bei Euer Hochwohlgeboren darüber meine ganze Lage und Meinung offen und frei auszusprechen, nämlich: Ich kamm(???) und arbeitete bei Johannn Vauchel seit 2 April 1851 und trat aus am 20 Novemb. 1854, und im Jahre 1855 hat mich J. Vauchel wieder verlangt zu Ihm zu kommen, da nun das hohe Ministerium von Oberbaiern beschlossen hatte in Mittenwald eine Instrumenten-Fabrik anzulegen, so bemühte J. Vauchel die Gelegenheit für mich zu sorgen und gab um einen Unterstützungs-Gesuch ein per Jahr zu 200 fl. (auf 2 Jahre) welcher genehmiget wurde, in selbigem Gesuchte hat Er vorgegeben, daß Er mir alle seine Kunstvortheile sagen will, (was auch geschah) und damit ich alsdan zu deren Leitung der Geigenfabrikation Mittenwald verwendet werden kann; da nun zu diesem Zwecke gleich zwei zur Ausbildung gekommen sind, wovon der eine mit Namens Johann Kriner zu Hr. Hofinstrumentenmacher Engleder gekommen ist, so muß ich jetzt befürchten, da ich das Unglück hatte, meinen bezeichneten Meister Vauchel am 11 Januar 1856 zu verlieren, daß Hr. Engleder sich alle mögliche Mühe vielleicht, (denkt es mir) gegen mir zu sein geben wird, da Er schon dem verlebten Vauchel Feind war, aber das hohe Ministerium bevorzugte den berühmten J. Vauchel, und sogar Vauchel mußte den Plan dieser noch zu Stande kommenden Fabrik entwerfen. Da ich nun ganz allein (ohne Eltern) mir überlassen bin so ist es nach meiner Ansicht das Beste wenn ich mit Zeugnißen versehen bin, um in diesen Fabrik eine gute Stelle zu erlangen, und könnte es der Fall sein daß ich vielleicht zurückgesetzt werden würde, was ich jedoch nicht glaube; so könnte ichdann wen ich womöglichst mit guten Zeugnißen versehen bin, leicht das Glück haben in irgend einer großen Stadt als Interumentenmacher zu kommen. Mein Vorsatz ist stets immer nur für Kunst zu leben und zu sterben und immer in den Fußstapfen meines darmaligen Meisters nach zu arbeiten (gewissenhaft, deutlich und sauber), eben ausgenommen seinen Humor und mißmuthige Launen, welche mir mein Leben und Ausdauer bei Ihm zu sein verbitterten (befolge ich nicht)
(den Handwerkzeug Vauchel‘s kaufte ich mir auch)
Die lackirte Violin machte ich im Jahre 1854 in die Münchner Ausstellung und es folgte darauf eine Ehrenmünze, diese ist 2 Jahre weis(?) gespielt worden, lackirt habe ich Sie erst im Jahre 1856 im August (mit Öllack) und die weise wurde noch gar wenig gespielt, sie ist ungefähr vor 9 Wochen fertig geworden. J. Vauchel hatte 26 Violinen u. 1 Cello noch angefangen gehabt, welche ich durch die Erlaubniß des hohen Ministeriums nun Allein als sein einziger Schüler vollenden darf. Mit der größten Hochachtung bitte ich Euer Hochwohlgeboren thun Sie meiner innigsten Bitte ein Wohlwollendes Gehör schenken und nehmen Sie mein so langes Schreiben, welche Ihnen Ihre so edle und kostbare Zeit entraubt nicht für ungünstig auf. Auch bitte ich Euer Hochwohlgeboren recht innigst, haben Sie die Güte und prüfen Sie die Violinen sobald es Ihnen nur Ihre edle kostbare Zeit erlaubt um damit ich solche recht bald wieder hier habe, weil ich noch die weise Violine vor meiner Abreise lackiren muß, denn bis ersten Oktober soll ich schon in der Fabrik Mittenwald eintreffen. In der angenehmen Hoffnung, meine innigste Bitte von Euer Hochwohlgeboren erfüllt zu sehen, habe ich die Ehre, mit der größten Hochachtung und Dankbarkeit zu verharren
 
Euer Hochwohlgeboren
ganz Gehorsamster
Johan Reiter aus Mittenwald a.d. Isar
(Eleve des Joh. Vauchel)
(Kgl. Hof-Geigenmacher z. Würzburg)
 
Aschaffenburg d. 19 August 1857.
 
Um Euer Hochwohlgeboren nicht zu viele kostbare und edle Zeit zu entrauben, so habe ich gleich die Adresen(???) zu deren Rücksendung geschrieben.

Autor(en): Reiter, Johann
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Engleder, Andreas
Knoop, Huldreich
Kriner, Johann
Vauchel, Jean
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Mittenwald
Würzburg
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1857081945

Spohr



Ein Antwortbrief Spohrs ist derzeit nicht bekannt, auf der letzten Seite des Briefautografs befindet sich aber der Entwurf zu dem von Reiter erbetenen Zeugnis‘. Außerdem befindet sich auf der ersten Seite des Briefs die handschriftliche Notiz: „Joh. Reiter, Mittenwald / Zeugnis / (R. hat die Reinschrift des Zeugnisses u. legt sie gern Fremden vor, ich habe sie 1892 gesehen. Dr Wittich.“ Außerdem ist ein weiteres Zeugnis von Spohr für Reiter, 09.12.1857 in Abschrift überliefert.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.12.2017).