Autograf: Staatsarchiv Sigmaringen, Sign. N 1/72 T 1 Nr. 79 [Permalink] [direkt zum Digitalisat]

Sr. Wohlgeb.
Herrn Hofkapellmeister
Täglichsbeck


Cassel den 4ten August
1857.

Geehrter Freund,

Von den Veränderungen, die in Löwenberg vorgegangen sind, hatte ich bereits in öffentlichen Blättern1 gelesen. Ihr lieber Brief hat mir nun die ganze Sachlage klar gemacht. Von den Städten, die bey Ihnen zum künftigen Aufenthalt in der Wahl sind, würde mich Dresden am meisten anziehen. Ich habe es vorigen Sommer, wo ich 14 Tage dort weilte2, wieder sehr lieb gewonnen und unterschreibe gern alle die Vorzüge, die sie ihr vor anderen Städten beylegen. Da jetzt auch eine Musikschule dort errichtet ist und stets so viele Fremde dort wohnen, so finden Sie auch dort wohl die beste Gelegenheit, in der Theorie der Musik Unterricht zu geben. Auch ist die Nähe von Leipzig, wo man in einigen Stunden seyn kann, ein großer Vorzug wegen der dort großen Lebendigkeit des Kunsttreibens und dem Verkehr mit Verlegern.
Ich kann daher Ihre Wahl nur vollkommen billigen und glaube und hoffe, daß Sie mit Ihrer Familie dort recht vergnügt und zufrieden leben werden! Weiter in’s Deteil einzugehen, bey einem so erfahrnen Mann, der alles so wohl und nach allen Seiten überlegt wie Sie, scheint mir nicht nöthig zu seyn, und so füge ich nur noch den herzlichen Wunsch bey, daß sich alles recht zu Ihrer Zufriedenheit gestalten möge, und ich bald darüber von Ihnen gute Nachrichten bekomme.
Von uns kann ich Ihnn nur gutes berichten! Wir sind wohl und so eben vergnügt von einer Ferienreise zurückgekehrt!3 Da ich jetzt einen zweiten und tüchtigen Kapellmeister4 an der Seite habe, so ist meine Theaterarbeit sehr unbedeutend und es macht mich sehr glücklich, noch immer dem Trieb zur Komposition nachhängen zu können. Vor den Ferien habe ich eine Symphonie, die 10te vollendet, und jetzt bin ich mit einem Quartett beschäftigt, von dem bereits die 3 ersten Sätze vollendet sind. Auch wird noch fleißig gegeiget, da es mir immer noch große Freude gewährt, in unsern Quartettparthien mitzuwirken, wie Sie es bey Ihrem letzten Hierseyn angehört haben. Unsere Kapelle ist mit einigen tüchtigen jungen Geigern vermehrt worden und unser Orchester daher jetzt recht gut, auch bin ich noch immer bestrebt, die gute Schule aufrecht zu erhalten; und gebe daher noch jeden Tag einige Stunden Violinunterricht. So lebe ich denn in Stille und Ruhe weiter, und suche in dieser Geschäftigkeit das, was in unsern hiesigen Verhältnissen unangenehm ist, zu vergessen, da es doch nicht zu ändern ist.
Doch genug des Geplauders und nur noch herzliche Grüße meine Frau an die liebe Ihrige.
Mit wahrer Hochachtung und herzlicher Freundschaft ganz der Ihrige

Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Täglichsbeck, Thomas
Erwähnte Personen: Reiß, Carl
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, WoO 42
Spohr, Louis : Sinfonien, WoO 8
Erwähnte Orte: Dresden
Leipzig
Erwähnte Institutionen: Konservatorium <Dresden>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1857080413

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Täglichsbeck an Spohr, 23.07.1857. Täglichsbeck beantwortete diesen Brief am 07.03.1858.

[1] Noch nicht ermittelt.

[2] Tatsächlich nur zwei mal eine halbe Woche (vgl. Marianne Spohr, Tagebucheinträge 21. - 23.06.1856 und 26. - 30.06.1856).

[3] Eine dreiwöchige Reise nach Holland (vgl. Marianne Spohr, Tagebucheinträge 20.06. - 12.07.1857) sowie ein dreitägiger Ausflug nach Eisenbach (Tagebucheinträge 25. - 27.07.1857).

[4] Nach der Entlassung von Jean Joseph Bott als zweiter Kapellmeister war Carl Reiss am  29.08.1856 als zweiter Kapellmeister eingestellt worden (vgl. Eberhard Wolff von Gudenberg, Beiträge zur Musikgeschichte der Stadt Kassel unter den letzten beiden Kurfürsten (1822-1866), Phil. Diss. Göttingen 1958, S. 210 und 229ff.).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.05.2016).