Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. Mus.ep. Spohr-Correspondenz 2,231
Beleg 1: Autographen-Sammlung enthaltend Musiker-Briefe und Musik-Manuskripte aus dem Nachlasse des berühmten Komponisten Louis Spohr (1784-1859) nebst Beiträgen aller Art (Fürsten,Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, Künstler, etc.) aus dem Besitz eines bekannten Berliner Sammlers. Versteigerung zu Berlin Montag, den 15. und Dienstag, den 16. Oktober 1894 (= Katalog Liepmannssohn), Berlin 1894, S. 69
Beleg 2: Sammlung Fritz Donebauer, Prag. Briefe, Musik-Manuscripte, Portraits zur Geschichte der Musik und des Theaters. Versteigerung vom 6. bis 8. April 1908 (= Katalog Stargardt), Berlin 1908, S. 97
Beleg 3: Georg Kinsky, Versteigerung von Musiker-Autographen aus dem Nachlaß des Herrn Kommerzienrates Wilhelm Heyer in Köln im Geschäftslokal der Firma Karl Ernst Henrici. Montag, den 6 und Dienstag, den 7. Dezember, Bd. 1, Berlin 1926, S. 101

Verehrter Gönner und Freund!
 
Seit der Zeit unserer persönlichen Bekanntschaft und Ihres schon wiederholt mir bewiesenen Wohlwollens habe ich ein so großes Vertrauen zu Ihnen gefaßt, daß ich mich jetzt gedrungen fühle, Ihnen meine neuesten Erlebnisse mitzutheilen, und auch Sie um Ihren freundlichen Rath zu bitten.
Durch die Gnade meines Fürsten nach dreißig Dienstjahren mit einem lebenslänglichen Gehalte quiescirt1, und eben dadurch in den Stand gesetzt, von nun an ganz meinen eigenen künstlerischen Bestrebungen und mir selbst zu leben, handelt es sich jetzt zunächst um die Wahl meines künftigen Wohnorts. – Nachdem ich so lange zum kleinstädtischen Leben verdammt war, zu dem ich eigentlich nie gepaßt und in welchem ich mich daher nur kurze Zeit behaglich gefühlt habe, treibt es mich jetzt, wo ich noch in voller Rüstigkeit stehe, mit Gewalt nach einem großen Ort, der mir als Künstler und Mensch Gelegenheit bietet, das im Krähwinkelleben Versäumte möglichst nachzuholen.
Diese Wahl wird mir dadurch etwas erschwert, daß mein Gehalt allein, welches nach Abzug einer bisher bezogenen jährlichen Funktionszulage im Betrag von 170 Rth., von nun aus jährlichen 800 Rth. besteht, nicht wohl hinreicht, mir und den Meinigen ein zwar einfaches, dabei aber doch anständiges Leben in einer großen Stadt zu sichern. Aus diesem Grunde bin ich denn auch gezwungen, zugleich darauf zu sehen, daß ich Gelegenheit finde, mir nebenbei noch etwas erwerben zu können, um dadurch unser Leben möglichst zu verschönern. Aber auch ohne diesen Umstand möchte und könnte ich keinesfalls so ganz ohne allen, wenn auch nur einigermaßen bestimmten Wirkungskreis leben, indem ich glücklicherweise noch zu rüstig und noch nicht alt genug bin, um als förmlicher Pensionär mich so ganz der Ruhe hinzugeben.
Hiezu gibt es außerdem von nun an von mir lebhafter zu betreibenden Verkehr mit Musikverlagen, nach meiner Ansicht zwei Wege, nemlich: Uebernahme vorübergehender Concert-Directionen, oder Unterrichten in der musikalischen Theorie, zu welch Letzterem ich eigentlich von jeher eine gewiße Vorliebe, und worauf ich mich deshalb theilweise schon vorbereitet habe, während ich des Ersteren ziemlich überdrüßig bin. Ob dieses Unterrichtgeben, welches ich aber keinesfalls handwerkmäßig betreieben möchte, und welches höchstens 2 Stunden täglich in Anspruch nehmen dürfte, in Form eines Instituts oder im reinen Privat-Wege zu ereichen wäre, könnte mir natürlich ganz gleich seyn.
Nachdem ich Ihnen nun vollständig gebeichtet habe, kann ich Ihnen ferner mittheilen, daß ich zu diesem Zwecke bereits nach Dresden, Berlin, München und Wien geschrieben und mehrere meiner dortigen Freunde um detaillirte Auskunft über die Lokal-Verhältnisse gebeten habe. Nach den bisherigen Nachrichten zieht es mich und die Meinigen am meisten nach Dresden, und zwar aus folgenden Gründen: 1.) weil es und von hier aus am nächsten liegt; 2.) weil es nebst vielem Großstädtischen doch auch die schöne Umgebung hat, (worauf wir Schwaben bekanntlich viel halten,) und 3.) weil dort noch am wohlfeilsten zu leben ist, was wenigstens vorderhand eine Hauptrolle spielt.
Hätte ich über größere Mittel zu verfügen, so würde ich ohne alles Besinnen gleich nach Paris übersiedeln; da dies aber leider nicht der Fall ist, muß ich mich natürlich mit der Ausführung kleinerer Projecte begnügen. So wäre ich gerne seit zwei Jahren gerne nach London gegangen, allein auch dieses Vorhaben konnte ich aus dem gleichen Grunde nicht ausführen[,] indem ich leider nichts finden konnte, was mir die damit verbundenen Lasten wenigstens theilweise ersetzt hätte, und ich überdies in der für die dortigen Verhältnisse passenden Zeit durch meinen hiesigen Dienst gebunden war. Der letztgenannte Punkt fällt natürlich jetzt weg, wo ich in meinem Freiherrenstand mit mir und meiner Zeit schalten und walten kann, wie ich es für zweckmäßig erachte[.] Nachdem ich Sie mit meiner langen Sauce vielleicht schon zu gelangweilt habe, erlaube ich mir schließlich Sie zu bitten, mir Ihren freundlichen Rath in meiner jetzigen Angelegenheit zukommen zu lassen, und in allen künftigen Fällen, die in meinem neuen Verhältniß für mich passen könnten, freundlich meiner zu gedenken.
Unter den freundlichsten Grüßen von mir und den Meinigen an Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin, mit den bekannten Gesinnungen von ganzem Herzen
 
Ihr
Th. Täglichsbeck
 
Löwenberg, am 23. Juli 1857.

Autor(en): Täglichsbeck, Thomas
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Friedrich Wilhelm Constantin Hohenzollern-Hechingen, Fürst
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Berlin
Dresden
München
Paris
Wien
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1857072343

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Täglichsbeck, 17.05.1856. Spohr beantwortete diesen Brief am 04.08.1857.
 
[1] quiesciren = ruhen, sich beruhigen (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörterbuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 388).
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.05.2016).