Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Danzig, den 10. Mai 1857.

Hochverehrter Herr General-Musikdirektor!

Bei der Gelegenheit, daß ich an Herrn Luckhardt schreibe, (welcher eine der 3 von mir übernommenen Pianoforte-Kompositionen, die Barcarole op. 68. bereits edirt hat1) fühle ich mich gedrungen, auch Ihnen ein Lebenszeichen von mir zu geben, welches Sie zugleich als ein erneutes Zeichen meiner Dankbarkeit und Verehrung freundlich ausgleichen wollen. Von allen Dingen wünsche ich, daß diese Zeilen Sie im besten Wohlsein, in ungeschwächter Frische des Körpers und Geistes antreffen mögen. –
Der Winter liegt nun hinter mir, aber nicht die anstrengende Thägikeit, welche er mit sich brachte. Seit meiner Rückkehr von Cassel sah ich mich mit Lektionen überhäuft, welche den größten
Theil meiner Zeit in Anspruch nahmen. Noch jetzt muß ich sechs Stunden täglich geben, dadurch(?) der Trieb zum Schaffen natürlich wesentlich beeinträchtigt wird. In der Weihnachtswoche schrieb ich eine Fantasie-Caprice für Pianoforte, unter dem Titel „Heldensinn“. Ein Gegenstück dazu „Flattersinn“ schwebt mir in den Hauptmotiven vor, aber die Gedanken flattern noch zu sehr durcheinander, um sie in eine bestimmte Form zu gießen. Vielleicht gewinne ich nächstens Muße dazu. Als musikalischer Referent für ein hiesiges Blatt hat mich auch die Oper des Winters sehr beschäftigt. Das Gastspiel der Sängerin, Frau Bürde-Ney aus Dresden, welche in acht Rollen auftrat und großes Furore machte, schloß am 30. April unsere Theatersaison ab. Ich habe nun Ruhe bis zum October, wo unsere Bühne (diesmal mit einem ganz neuen Personal) wieder eröffnet wird. – Der Mozart-Verein regt sich bis jetzt so wenig, daß ich fürchte, die Mitglieder werden für die Dauer der schönen Sache nicht treu bleiben. Man kann das Interesse der Leute nur durch augenfällige Thatsachen fesseln. Das versprochene Mozart-Album, welches den Mitgliedern gratis versprochen wurde, läßt noch immer auf sich warten. Haushalter schrieb mir, daß die versprochenen Beiträge für das Album noch nicht eingegangen sind, trotz wiederholter Bitten und Mahnungen. Es ist mir diesmal nicht ohne Mühe, wiederholte Correspondenzen u.s.w. noch gelungen, für das laufende Jahr 42 Rth. an Beiträgen einzukassiren, welche ich vor Kurzem Herrn Dr. Bucholz in Gotha eingeschickt habe: Wie es im nächsten Jahre aussehen wird, wenn das Album nicht bald erscheint, das liegt noch im Schoße der Zukunft verborgen. Es wäre höchst erspießlich, wenn Sie hochverehrter Herr Doctor, mit dem Gewichte Ihres Namens, der Nothwendigkeit dieses Albums das Wort2 reden möchten. Vielleicht könnten die mit ihren Beiträgen noch ausstehenden(???) Componisten durch eine Aufforderung des Direktoriums veranlaßt werden, nicht länger mehr zu säumen, damit endlich mit der Herausgabe entschieden vorgegangen werden kann. Im nächsten Winter beabsichtige ich wieder im Conzert zum Besten des Vereins zu veranstalten, wie ich überhaupt, so lange es irgend geht, meine schwachen Kräfte der Sache von ganzem Herzen widmen werde. –
Meine Oper „der König von Zion“ lege ich vertrauensvoll in Ihre Hand, in der Hoffnung, daß Sie auch auf dieses Werk etwas von der Gunst übertragen werden, welche Sie meinem Oratorium in so freundlicher, mir unvergeßlicher Weise angedeihen ließen. Von einer Aufführung in Cassel verspreche ich mir viel. Darf ich in der nächsten Saison darauf hoffen? –
Haben Sie die Gewogenheit, mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin angelegentlich zu empfehlen, nicht minder Herrn Pfeiffer nebst Gattin. Herzlichen Gruß auch an Herrn Kapellm. Reiss!
Erhalten Sie, hochverehrter Herr Doctor, Ihr freundliches Wohlwollen Ihrem in aufrichtiger Verehrung und Hochachtung

ergebenen
FWMarkull.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Markull an Spohr, 27.11.1856. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Markull an Spohr, 02.12.1857.

[1] Die beiden anderen sind Ballade op. 66 und Polonaise op. 67 (vgl. Vorbrief).

[2] Hier zwei oder drei Buchstaben gestrichen.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.01.2022).