Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

St Gallen, 29. April
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Hochverehrter Meister!

Meinen herzlichsten Dank für Ihren freundlichen Brief, dessen große Hochachtung ich nicht genug aussprechen kann. Dieße liebevollen ermunternden Worte haben mich für Vieles unangenehm durchlebte reichlich entschädigt. Ich werde treu bleiben, wie Sie so schön in Ihrem Briefe aussprechen(?). Nun habe ich Ihnen wol in Bezug auf die Weihe der Töne einen Moment mitzutheilen, der Sie gewiß interessirn wird. Noch im Laufe unserer Konzert-Saison, kurz nach der Aufführung der Weihe der Töne starb unser Kassier, ein hier allgemein geachteter Mann! die wundervolle Begräbnißmusik würde bei dieser Gelegenheit in der „That” aufgeführt: das ganze Konzertorchester spielte dießen Satz in der Kirche vor dem üblichen Gebete. Der Eindruck den es auf mich machte in dem großen Raume, bei einer Begräbniß, ist unbeschreiblich. Solche Stimmen hörte ich viele im Publikum. Es möchten wohl der Fälle nicht viel sein, so es sich gerade getroffen, daß dieser unsterbliche Satz für die Zurückbleibenden ein „Trost in Tränen” wird, wie er nicht weiter gegeben werden kann. Ich habe diese Aufführung in meiner Partitur bemerkt. Es war Sonntag den 15 März, Nachmittags 2 Uhr. – Unsere Konzerte sind für dießes Jahr geschlossen. Im nächsten Winter beabsichtige ich von Ihren herrlichen Symfonien die C moll1 und die Faust-Ouverture. Würden Sie die Güte haben, und nur in Aufführung von Ihren unsterblichen Werken Vorschläge machen? Unser Orchester ist gut, und wir sind so besetzt, daß wir alles genügend aufführen im Stande sind. Durch Gebr. Hug in Zürich verlangte ich schon im Winter die Partitur der C moll Symphonie, da ich dieselbe aufführen wollte. Erst vor wenig Tagen erhielt ich die Nachricht, daß sie dieselbe nicht auftreiben konnten. Ist eine Partitur erschienen? Die Partitur der Faust-Ouverture besitze ich, von einem Musiker aus den Stimmen zusammengestellt. – Vor einigen Tagen traf ich zufällig einen Reisenden aus Cassel der mir die erfreuliche Nachricht von Ihrem Wohlbefinden brachte. Haben wir vielleicht einmal das Glück, Sie hier oder in der Nähe zu sehen, so bitte ich, meiner gütigst zu gedenken.
Genehmigen Sie den Ausdruck meiner innigsten Verehrung –

Ihr ergebenster
Heinrich Sczadrowsky

Autor(en): Szadrowsky, Heinrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Faust
Spohr, Louis : Sinfonien, op. 78
Spohr, Louis : Die Weihe der Töne
Erwähnte Orte: St. Gallen
Erwähnte Institutionen: Hug <Zürich>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1857042945

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Szadrowsky, 30.03.1857.

[1] Aus Spohr an Szadrowsky, 24.02.1856 folgt, dass es sich vermutlich um die 3. Sinfonie op. 78 und nicht die 5. op. 102.

Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Karl Traugott Goldbach (24.10.2019).