Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hamburg, am 14. März 1857.

Geehrter Herr Capellmeister!

Mit großem Vergnügen mache ich Ihnen die Mittheilung, daß wir in unserer am 14. Februar stattgehabten 4ten Quartett-Unterhaltung Ihr E moll Quintett gespielt haben, und zwar unter Beifallsbezeugungen, die sich mit jedem Satz steigerten; nur wurde es von Künstlern wie Musikfreunden überaus bedauert, daß der verehrte Meister sich nicht unter den Zuhörern befunden, da er, wie man uns schmeichelhafter Weise versicherte, auch seine Zufriedenheit der Aufführung bezeugt haben würde. Sollte es Sie interessieren eine Recension über jenen Abend zu lesen, so mache ich Sie auf No 8 des Journals „die Jahreszeiten“ aufmerksam1, welche Nummer, falls Sie in Cassel nicht zu haben wäre ich Ihnen auf Ihren Wunsch gerne zugehen lassen würde. – Vielleicht ist es Ihnen noch nicht bekannt daß in diesem Winter Herr Joachim Ihr Concert in E. moll (ich glaube No 7)2 und Herr Lauterbach aus München die Gesangscene3 hier gespielt haben (Herr L. wird dieselbe in dem am 27. März stattfindenden Concerte des Herrn Grund wiederholen.)
Ihre mir bisher bewiesene freundliche Gesinnung giebt mir den Muth Sie an Ihr Versprechen zu erinnern, mir Ihr Urtheil über meine Compositionen zukommen zu lassen. Ich habe Ihnen ein Quartett in Partitur u. Stimmen, von dem ich keine Abschrift weiter besitze übergeben, welches mir, sie es in Partitur od. Stimmen gef. zurückzusenden bitte, bei welcher Gelegenheit mir Ihre Ansicht darüber, wie über die anderen Sachen (Sonate für Piano u. Violine, Ouvertüre) zu vernehmen von großer Wichtigkeit wäre. –
Um den von der deutschen Tonhalle zu Mannheim ausgesetzten Preis habe auch ich mich beworben; zu meinem Preisrichter hatte ich mir erlaubt, Sie, verehrter Herr Capellmeister zu wählen. Meine Composition trug das bekannte Motto v. Schiller: Kannst du nicht allen gefallen durch deine That, etc.
Wie ich heute vernommen, hat Herr Capelmeister Hetsch in Carlsruhe den Preis bekommen.4 Das Sie, wie ich nicht zweifle, meine Composition dur[ch]gesehen haben so würde ich Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mir auch über dieses Stück Ihre schätzbare Meinung sagen wollten. Sollten Sie Sich aber nicht unter den Preisrichtern befunden habe, darf ich dann so frei sein, Ihnen gelegentlich mein Opus zur Beurtheilung zuzuschicken?
Schlieslich habe ich Sie wegen der vielfachen Belästigungen um Entschuldigung zu bitten, und mich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin bestens empfehlend, und Ihrer gütigen Antwort entgegen sehend, verbleibe ich,

Mit besonderer Achtung
Ihr ganz ergebener
Louis Lee.



[1] Noch nicht ermittelt. – Zur Zeitschrift vgl. „Jahreszeiten. Unterhaltende Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben“, in: Hamburger literarische und kritische Blätter 33 (1857), S. 536.

[2] Vgl. „Hamburg. (Die Otten’schen Konzerte)“, in: Rheinische Musik-Zeitung 8 (1857), S. 77ff., hier S. 78; „Man schreibt uns aus Hamburg“, in: Signale für die musikalische Welt 15 (1857), S. 69.

[3] Vgl. „München“, in: Neueste Nachrichten aus dem Gebiete der Politik 10 (1857), S. 238f., hier S. 239.

[4] Vgl. „[Die in Mannheim bestehende ,deutsche Tonhalle’]“, in: Bremer Sonntagsblatt 5 (1857), S. 79; Hetsch war allerdings in Mannheim tätig (vgl. „Auszeichnungen, Beförderungen“, in: Neue Zeitschrift für Musik 46 (1857), S. 111).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.04.2023).