Autograf: Robert-Schumann-Haus Zwickau (D-Zsch)

Sr. Wohlgeborn
Herrn Gustav Jansen
Organist in
Verden
Königreich Hannover.

Hierbey eine
Rolle Musikalien
gez: H.G.J.


Cassel den 24sten Februar
1857.

Hochgeehrter Herr,

Daß ich erst heute Ihren lieben Brief beantworte, liegt daran, daß ich bey Ankunft desselben eine Mannheimer Preiskomposition zu beurtheilen hatte, und diese Arbeit erst beseitigt werden mußte, bevor ich mich mit etwas Anderm beschäftigen konnte.
Zuerst habe ich mich gefreuet, aus Ihrem Schreiben zu ersehen, daß Sie mit Ihrem dortigen Wirkungskreise zufrieden sind, und dieser Sie zu Kompositionsarbeiten veranlaßt, und Freunde, mit denen Sie musiciren, sich für dieselben interessiren; dann habe ich Ihre Arbeit selbst mit Vergnügen durchgelesen und es hat mir Ihr Quartett in der Erfindung, dem Styl und der Form sehr gut gefallen. Sollten Sie es, dem Wunsche Ihrer Freunde gemäß, veröffentlichen wollen so würde jedoch eine nochmalige genaue Durchsicht im Bezug auf Harmonieeinheit und correkte Stimmführung noch nöthig seyn. Damit Sie verstehn was ich damit meine, mache ich Sie auf die 2 vorletzten Takte der Seite pag. 41 aufmerksam, wo zu Triller D in der 1sten Violine, das Violoncell sich auf demselben Ton herumbewegt und im 2ten Takt in Octaven mit der ersten Geige schließt; ich sehe zwar wohl, daß es eine Fortsetzung der vorher mit Bleistift corrigirten Figur zwischen der 2ten Violine und Viola ist und obgleich das Violoncell hier nur eine Mittelstimme hat und nicht den Grundbaß, so wird man doch immer die Octaven mit der 1sten Violine heraushören. Aus solchen Kleinigkeiten machen sich zwar die modernen Zukunftsmusiker nicht viel, ein Komponist der guten alten Schule muß sich aber von solchen Harmonieunreinigkeiten freihalten! Im Übrigen gefällt mir die Stimmführung sehr gut und das Bestreben, die Figuren thematisch durchzuführen, ist nur zu loben, und kann allein zum wahren Quartettstyl führen. Fahren Sie daher nur so fort, und Sie werden bald alle ähnlichen Verstöße gegen Harmonieunreinheit vermeiden lernen!
Beykommend sende ich Ihnen Ihr Quartett zurück und unterzeichne hochachtungsvoll

Ihr
ergebener
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Jansen, Gustav
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Jansen, Gustav : Quartette, Vl 1 2 Va Vc
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Deutsche Tonhalle <Mannheim>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1857022414

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Jansen an Spohr.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.04.2020).