Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Scholz,B.:5

Cassel1

Hochverehrter Herr!

Schon lange hatte ich vor, Ihnen für Ihren freundlichen Brief zu danken; daß ich es bis jetzt unterließ hat seinen Grund darin, daß ich Ihnen gern zugleich2 ein neues Werk vorlegen wollte, aus dem Sie ersehen könnten, daß ich mir Ihre gütigen, offenen Rathschläge wohl zu Herzen genommen habe, u. daß Ihre Lehren nicht verloren gingen. Sie dürfen mir nicht böse sein, wenn ich meine Sonate dennoch ein wenig in Schutz nehme; ich glaube doch darin weder in Form noch Stoff Neigung zum Liszt-thum gezeigt zu haben, u. ich habe mich wenigstens bestrebt, unsere guten Vorbildern nachzueifern. Ich sehe jetzt allerdings ein, daß ich mir freilich manche Härte habe zu Schulden kommen lassen; ich gestehe sogar, ich hatte, zur Zeit als ich sie schrieb, eine gewisse Freude daran; ich hatte in Berlin gerade viel Bach studirt.3 Einige Monate in Italien haben darauf, wie ich hoffe eine günstige Reaction hervorgerufen4, und ich lege Ihnen, verehrter Meister, nun ein Clavierconcert, meine neuesten Compositionen zur gütigen Beurtheilung vor. Haben Sie die Güte nun auch darüber eine offenen Kritik zu geben, ich werde Ihnen sehr dankbar dafür sein.
Zugleich erlaube ich mir die Anfrage, ob es nicht möglich wäre, daß ich dieses Clavierconcert mit Orchesterbegleitung in Cassel, wo doch gewiß regelmäßige Conerte sind, spielen könnte. Ich habe sämmtl. Stimmen dazu ausgeschrieben. Oder ließe sich vielleicht eher die Aufführung einer Symphonie ermöglichen? Ich habe eine kurze, einfache in D-moll geschrieben, die ich Ihnen ebenfalls antragen möchte! Entschuldigen Sie, daß ich Sie mit meinen Angelegenheiten in Anspruch nehme, allein Sie werden mir verzeihen, wenn Sie bedenken, wie schwer es für junge Componisten ist vor die Oeffentlichkeit zu gelangen. Ich bin nun seit dem ersten October am hiesigen Conservatorium Lehrer im Contrapunct, bin auf diese Rolle eingebunden u kann nicht selbst viel nach außen für die Verbreitung meiner Arbeiten thun. Ich kann mich höchstens auf einige Tage beurlauben lassen, wenn es sich so fügen sollte, daß ich irgenwo mein Conzert spielen könnte. Deshalb verzeihen Sie die Freiheit mit der ich mich an Sie wende.
Ich habe kürzlich hier wieder Ihre Jessonda gehört, u. es drängt mich, Ihnen meinen tiefgefühlten Dank für diesen Genuß zu bekunden. Diese schöne, friedliche, harmonische Musik hat mich, wie immer, tief bewegt. Ich hätte Ihnen vor Freude um den Hals fallen mögen. Gestatten Sie mir, Ihnen zugleich die Darstellerin der Jessonda, Frau Maximilien zu rühmen, die durch ihren einfachen, geschmackvollen u. innigen Gesang, wie durch ihr sinniges Spiel Viele zu Thränen rührte.
Ich möchte Sie zu gerne einmal sehen und sprechen. Wenn auch aus dem Clavierconcerte nichts wird, so darf ich Sie wohl in den Ferien im Sommer einmal besuchen. Nehmen Sie mein Geplauder freundlich auf; es ist mir, als wären Sie mir gut, u. das kommt mir gar viel in den Sinn, was ich Ihnen sagen möchte.
Grüßen Sie doch, wenn ich bitten darf, Herrn Reiss u. seine Frau eine Mainzerin.
Ich schließe mit den besten Wünschen für Sie im kommenden Jahr. Erhalten Sie Ihr Wohlwollen

Ihrem dankbaren,
ganz ergebenen
Bernh. Scholz

München
12 Jan. 1857

Meine Adr. ist:
B. Scholz
Prof. am kgl. Conservatorium,
Löwengrube No 14.
München.

Autor(en): Scholz, Bernhard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Maximilien, Emilie
Reiß, Anna
Reiss, Carl
Erwähnte Kompositionen: Scholz, Bernhard : Konzerte, Kl Orch
Scholz, Bernhard : Sinfonien, d-Moll
Scholz, Bernhard : Sonaten, Vl Kl, op. 3
Spohr, Louis : Jessonda
Erwähnte Orte: München
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Kassel>
Hoftheater <München>
Konservatorium <München>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1857011246

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Scholz, 22.10.1856.

[1] Möglicherweise von anderer Hand. Vielleicht aber auch eine Notiz von Scholz, um den Überblick über weitere ähnliche Briefe an andere Adressaten zu behalten.

[2] „zugleich“ über der Zeile eingefügt.

[3] Zu Scholz’ Studium in Berlin vgl. Bernhard Scholz, Verklungene Weisen. Erinnerungen, Mainz [1911], S. 90-97.

[4] Zum Italienaufenthalt vgl. ebd., S. 98ff.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.05.2021).