Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Montag den 5ten1 Januar
Kensington

Sehr verehrter u. lieber Freund

warum ich große Lust habe Ihnen zu schreiben ist mir sehr begreiflich, das Wunderbare dabei ist dass ich erst A.D. 1857 durch meine Feder in Ihrer Gegenwart bin. Also nachdem ich abwechselnd auf englische Weise Ihre Hand gedeutet, u. auf deutsche Weise Sie ehrfurchtsvoll u. freundschaftlichst umarmt habe, wünsche ich Ihnen recht innigst alles Glück zum Neujahr.
War schon selbst in den nicht angekommende Kindchen verliebt, weil mir Benedict vor einigen Wochen die schöne Hoffnung mitgetheilt hatte d. Sie nach dem Norwich Festival kommen würden2, da dachte ich mir „also im Lauf des nächsten Jahres muss ich einige herrliche Stunden verleben, da Spohr hierher kömmt“ da heisst es auf eimal Sie hätten die Einladung grausamst abgeschlagen, u. so falle ich aus dem wundervollen Luft Schloss u. stosse mich peinlichst auf diese harte Wirklichkeit.
Bester, verehrtester Freund ueberlegen Sie es dennoch einmal, ehe Sie uns so stiefväterlich behandeln! Grade im Herbste, u. auf dem Lande, Benedict auch da, der Ihnen gewiss alle Mühe versparen wird, dann ein herzlichen Willkommen was allen Menschen gesund und angenehm ist, dann die Ueberzeugung daß wir Sie (im Fall Sie nicht können) nicht anders als l’uom’ di sasso3 von jetzt an betrachten werden müssten – diese Gründe, u. noch 10 hundert tausend Andre u. eben so gute, die ich dennoch nicht erwähnen will, weil sie eben so deutlich in Ihrer Seele vorschweben wie in die Meinige, also wie gesagt diese unwiederstehliche Gründe werden Ihnen gewiss nach längerer Ueberlegung zu einem heiteren Entschluss bringen –
„Ich gehe bestimmt nächsten September mit Marianne hin4, & freue mich schon im Voraus auf das Steinkohl eingeräuchterte, u. Meerumringte Volk!“ –
Wenn Sie grade nicht spielen w o l l e n, so werden wir, hübsch bescheiden, andere eigene innigste Wünsche auf der Stelle ertrinken ehe wir Sie damit quälen wollten, aber eine neue Compoisition u. d. Sie eine Sinfonie dirigiren, das hoffentlich ist nicht zu viel verlangt, ich denke Sie bejahen solche Ansprüche mit der nächsten Post, u. in dieser himmlischen Erwartung gedenke ich heute Nacht wie eine hoffnungsvolle Engel einzuschlafen.
Von Bott bekam ich neulich einige Zeilen aus Berlin, er hat die Absicht im April hierher zu komme, worüber ich mich sehr freue, u. bezweifle gar nicht d. er dann so gut aufgenommen wird als er verdient, d. h. also auf eine sehr schöne Weise.
In diesem Paketchen habe ich Ihnen etwas Englische Pflaster (heißt „sticking plaister“5 so, oder habe ich Ihnen weit Gehorsamst ein Stückhen Oxford Street oder Regent St versprochen) hingelegt, schon wie ich in Cassel war hatte ich es dem lieben Herrn von Malsburg versprochen, u. schicke es ihm erst jetzt wobei ich schwarz roth erröthe, u. so fiel es mir ein, d. Ihnen auch etwas davon nützlich seyn könnte.
Papa u. Mamma grüssen Sie u. Ihre liebe Frau Gemahlin recht herzlich; neulich haben uns Sir George u. Lady Stuart besucht, beide sehen merkwürdig wohl aus, rühmten sehr ihre Blumen, Obst u 2 Schweine, u. im Lauf des Sommers haben sie mehr als 100 Menschen auf dem Lande bei ihnen zum Besuch gehabt. Das will was heißen nicht wahr?
Dass Ihre Geige mitgebracht wird nach England versteht sich von selbst, wie werde ich wohl die 8 Monate ruhig abwarten bis ich ihre himmlischen Klänge wieder höre!
Also Sie kommen bestimmt lieber, verehrter Freund, wir wollen Sie auf Hände tragen u. Ihnen (so weit es in unsre Kräfte liegt) eine rosen rothe u. himmel blaue Zeit unter uns bereiten.
Neulich war ich bei Farres, habe sie dennoch nicht zu Hause getroffen. Wollen Sie mir Ihre Töchterchen, Professor Wolf6 u. sämmtliche Enkeln u Enkelinnen, u. Ur-, u. Ur-Ur-Enkelchen u. so weiter bestens empfehlen.
Indem Sie recht wohl verehrtester Freund biswir im Herbst uns wiedersehen; bis dahin, u. so lange ich lebe bin ich wie immer

Ihre treue Sophy Horsley

N.S. Bin neugierig ob Sie dies Jahr so wundervollen spät Rosen im Garten hinter dem Hause gehabt haben wie im vorigen, ich weiss es mir so deutlich erinnern – den Sontag Morgen wie bei Ihnen musizirt wurde, & nachdem gingen wir zusammen herunter u. Sie schenkten mir die schönste Rosen.

Autor(en): Horsley, Sophie
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Benedict, Julius
Malsburg, Wilhelm von der
Spohr, Marianne
Stuart, George
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Norfolk and Norwich Triennial Festival
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1857010547

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Horsley an Spohr, 26.06.1853. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Horsley an Spohr, 08.12.1857, aus dem sich noch ein derzeit verschollener Brief von Spohr an Horsley erschließen lässt.

[1] „5“ aus „4“ korrigiert.

[2] Julius Benedict lud Spohr am 29.11.1856 im Namen des Komitees des Norfolk and Norwich Triennial Festival ein, am nächsten Musikfest zu dirigieren und solistisch aufzutreten, was Spohr in seiner Antwort vom 04.12.1856 ablehnte.

[3] Der steinerne Gast aus Wolfgang Amadeus Mozarts Don Giovanni.

[4] „hin“ über der Zeile eingefügt.

[5] Vgl. Philipp Andreas Nemnich, Britische Waaren-Enfyklopädie, Hamburg und London 1814, Sp. 642; John F. South, Household Surgery or Hints on Emergencies, 4. Aufl., London 1852, S. 40ff.

[6] Spohrs Schwiegersohn Johann Heinrich Wolff.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (12.08.2022).