Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4˚ Ms. Hass. 287[Kiel, A.:28
Digitale Edition: Carl Louis Bargheer, Fiedellieder plus. Eine digitale Edition, hrsg. v. Joachim Veit, Version 1.1, Detmold 2013 [→ Handschriftliche Dokumente → Sonstige Institutionen → *1857-01-04 August Kiel an Louis Spohr in Kassel, Detmold, 4. Januar 1857]

Hochgeehrtester
Herr Generalmusikdirector!
 
Unser Fürst war sehr erfreut, daß das Andenken welches er Ihnen geschickt, Ihren Beifall gefunden. Der Fürst war so geheimnisvoll damit daß ich nicht dahinter kommen konnte, was es war, womit er Ew. Hochwohlgeboren zu erfreuen gedachte, und habe ich es erst aus Ihrem Briefe erfahren. Allerdings hatte der Fürst bei der Wahl des Geschenkes die Absicht Ihnen seine Hochachtung für Ihr ächt deutsches Wirken als Künstler und Mensch an den Tag zu bringen, und erfreut ihn unendlich, daß seine Andeutung verstanden ist. Keine größern Freude könnten Sie dem Fürsten machen, wenn Sie selbst auf ein paar Tage hierher kämen; Sie würden dann selbst sehen, wie hoch Sie und Ihre Werke geehrt werden. Sollte es Ihnen nicht möglich sein im Frühjahr mit Ihrer verehrten Frau Gemahlin einige Tage von Cassel abkommen zu können? Sie würden sich gewiß in dem freundlichen Detmold (unstreitig die schönste der kleinen Residenzen) recht behaglich fühlen. Möge es kein frommer Wunsch bleiben! Die symphonischen Dichtungen von Liszt folgen anbei. Sie können dieselben benutzen so lange Sie wollen, hier wenigstens darf ich nicht mehr damit kommen. Ich habe dem hiesigen Publiko 3 dieser musikalischen Ungeheuer vorgeführt, als Prometheus, Tasso und Mazeppa; ein wirklich erstaunungswerter Climax von Verrücktheiten. Noch habe ich hiezu einiges zu erklären: Zum Prometheus: Mußte ich die 3 Flöten in 2 zusammenziehen, ebenso das englische Horn wo es auftritt in andre Instrumente legen, wie in der Partitur angezeigt ist. Ich hätte es Blasen lassen können, allein ich behielt dann nur eine Oboe.1 Beim Tasso: ebenfalls nur 2 Flöten, woran die zweite abwechselnd die große und piccolo nimmt. Die Baßclarinette habe ich gar nicht, und ist sie von Liszt in die Cellos gelegt.2 Die Harfe konnte ich auch nicht besetzen, und mußte ich sie in das Quartett verlegen, doch so (weil wir bald eine Harfe bekommen) daß wenn Sie die Harfe brauchen wollen, sie ausschreiben lassen müssen, wo dann das pizz. im Streichquartett wegbleibt und die Noten im oberen System gespielt werden. Seite 24 der Partitur im 9ten Takt hat unser 2 Fagottist die Triole nicht blasen können, und mußte ich deßhalb eine Viertelnote fis nehmen.3 Beim Mazeppa werden sich die Geigen amüsiren, ein ähnlicher Unsinn ist noch Niemandem eingefallen.4 Mit den Flöten und englischem Horn ebenso wie oben. Die 3 Fagotte habe ich in 2 zusammenziehen müssen. Die D`Clarinette habe ich wegen Mangel eines Instruments für C`Clarinette schreiben kassen müssen. Die Baßclarinette liegt in anderen Instrumenten, wie ich in der Partitur angezeigt habe. Seite 70 ist bei den Geigen und Bratschen ein x über dem Accord angezeigt5, ich vermuthete daß es pizzicato bedeuten sollte: meinen Geigern hat diese Stelle unendlichen Scherz gemacht. Bei diesem opus hatte ich es für nöthig gehalten, getheilte Proben zu halten. Daß Gedicht von V. Hugo was der Partitur vorgedruckt war6 ist leider verloren gegangen. Beim Tasso und Prometheus fehlt eine Bratschenstimme, die ich augenblicklich nicht finden kann. Sonst sind die Stimmen correct. Ich habe mir erlaubt die Zettel unserer Abonnementsconcerte zur gefälligen Ansicht beizulegen; außer diesen habe ich bis jetzt schon 12 Hofconcerte gehabt. Ich selbst habe nur in den Hofconcerten gespielt. Sie können sich einen kleinen Begriff machen, welch eine Masse Musik hier consumirt wird. Diesen Sonntag beginnt unser Theater. Die Oper ist grundschlecht, und ich hoffe daß der Fürst wieder ein Hoftheater organisirt.7 Hr. Osthoff schrieb hieher um in einem Hoftheaterconcerte zu singen, allein seine Forderung war zu hoch: nämlich 12 Ducaten, freie Reise und freien Aufenthalt. Ich glaube aber, daß ich Ew. Hochwohlgeboren schon zu lange mit meiner Schreiberei belästige. Ich wünsche von ganzem Herzen, daß der Himmel Ihnen auch in diesem Jahre, so wie in noch recht vielen Jahren, Ihre Gesundheit erhalten möge zur Freude der gesammten Kunstwelt.
 
Mit diesem Wunsche verharre ich
als Ew. Hochwohlgeb
gehorsamster und dienstwilligster
AugKiel
 
Detmold d 4ten Januar 1857.

Autor(en): Kiel, August
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Leopold III. Lippe-Detmold, Fürst
Osthof, Heinrich
Spohr, Marianne
Erwähnte Kompositionen: Liszt, Franz : Mazeppa
Liszt, Franz : Prometheus
Liszt, Franz : Tasso
Erwähnte Orte: Detmold
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Detmold>
Hoftheater <Detmold>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1857010438

Spohr




Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Kiel, 31.12.1856. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Kiel, 16.04.1859.
 
[1] Vgl. Franz Liszt, „Prometheus”, in: ders., Symphonische Dichtungen für großes Orchester. Partitur, Leipzig [1885], Bd. 2, S. 5-86.
 
[2] Vgl. ders., „Tasso”, in: ebd., Bd. 1, S. 175-255, hier S. 183.
 
[3] Vgl. ebd., S. 200.
 
[4] Gemeint sind wohl vor allem die col legno-Stellen, bei denen die Streicher die Saiten nicht mit den Haaren streichen, sondern mit dem Bogenholz schlagen (ders. „Mazeppa”, in: ebd., Bd. 2, S. 95-218, hier S. 133-137 und 144-152).
 
[5] Vgl. ebd., S. 165.
 
[6] Vgl. ebd., S. 87-94.
 
[7] 1851-1863 betrieb der Unternehmer Gustav Mewes vom Hof subventioniert und im Betrieb mehrmals durch Staatstrauer unterbrochen das Detmolder Theater; trotz mehrerer Versuche erhielt er nie den begehrten Titel „Hoftheater” für seine Unternehmung (Hans Georg Peters, Vom Hoftheater zum Landestheater. Die Detmolder Bühne von 1825 bis 1969 (= Lippische Studien 1), Detmold 1972, S. 88-91).
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.07.2016).