Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Danzig, den 27. November 1856.

Hochverehrter Herr General-Musikdirektor!

Am Sonntage bin ich glücklich wieder hier angelangt, nachdem ich noch in Erfurt und Berlin einen Tag zugebracht hatte. Mein kurzer Aufenthalt in Cassel wird zu den besonders angenehmen Erinnerungen meines Kunstlebens gehören, da er mir Gelegenheit gab, Ihnen näher zu treten und Ihre wohlwollende Herzgensgüte im ganzen Umfange kennen zu lernen. Nicht jeder große Meister nimmt sich fremden Bestrebungen so herzlich und liebevoll an, wie Sie sich meines Oratoriums1 angenommen haben. Die Aufführung hat mir große Freude gemacht, namentlich habe ich die Trefflichkeit des Orchesters, die selten anzutreffende reine Stimmung der Blasinstrumente, so wie die Diskretion in der Begleitung zum Gesange gebührend bewundert. Wenn doch dem hiesigen Theater-Orchester etwas von der Feinheit und Noblesse Ihrer Hofkapelle beizubringen wäre! Daß mein Werk in Cassel auch angesprochen hat, müßte natürlich meine Freude noch vermehren, um so mehr, als dadurch wahrscheinlich eine weitere Verbreitung angebahnt worden ist. Gegenwärtig studirt man das Oratorium in Magdeburg und Insterburg2 ein. An den letzteren Ort habe ich so eben die versprochene Partitur und Orchesterstimmen abgesendet. – Als ich von Ihnen Abschied genommen hatte, ging ich zu Herrn C. Luckhardt und spielte ihm meine neuesten Klavier-Kompositionen vor, bei welcher Gelegenheit ich 3 Werke: Ballada (op 66), Polonaise (op. 67) und Barcarole (op. 68) an ihn verkaufte. – Die unterlassene Visite bei Herrn und Madame Pfeiffer3 liegt mir schwer auf dem Herzen. Den Vormittags-Ausflug nach Wilhelmshöhe brachte mich um eine geeignete Besuchstunde und am Tage meiner Abreise lag es in meinem Interesse, vor allen Dingen mit Herrn Luckhardt nähere Bekanntschaft zu machen. Ich hoffe, die einligenden Zielen, um deren gütige Beförderung ich Sie ersuche, werde etwas dazu beitragen, mich bei der liebenswürdigen Familie zu entschuldigen. – Dehnen Sie, hochverehrter Meister, Ihr meinem Oratorium geschenktes Wohlwollen auch auf meine Oper4 aus. Kommt dieselbe in Cassel zur Aufführung, so glaube ich nicht zweifeln zu dürfen, in Ansehung des Danziger Erfolges, daß sie auch über andere Bühnen gehen wird. Und man findet sich hoffentlich auch die Gelegenheit, meinen hiesigen Wirkungskreis mit einem mehr künstlerischen und anregenderen zu vertauschen. Käme doch bald ein solcher Zeitpunkt! Möchten Sie doch meiner freundlichst gedenken wenn Ihnen eine geeignete Vakanz bekannt wird oder wenn Sie Gelegenheit haben, einen Künstler für einen erfreulichen Wirkungskreis in Vorschlag zu bringen! – Empfehlen Sie mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin angelegentlichst. Hoffentlich ist ihre Gesundheit jetzt völlig wiederhergestellt.
Empfangen Sie meinen innigsten Dank für alle mir erzeigte Güte und nehmen Sie die Versicherung, daß ich immerdar zu Ihren wärmsten Anhängern und Verehrern gehören werde. In dieser Gesinnung erlauben Sie mir mich zu zeichnen all Ihren

ganz ergebensten
FWMarkull.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Markull an Spohr, 03.11.1856. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Markull an Spohr, 10.05.1857.

[1] Das Gedächtnis der Entschlafenen.

[2] Vgl. „Insterburg“, in: Neue Berliner Musikzeitung 11 (1857), S. 15.

[3] Louise und Burchard Wilhelm Pfeiffer, die Schwiegereltern von Spohr.

[4] Der König von Zion (vgl. Folgebrief).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.01.2022).