Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hamburg, d. 8ten Octbr. 1856.
7. Rathhausstrasse

Hochgeehrter Herr Kapellmeister,

Schon lange drängt es mich, Ihnen wieder Nachricht von mir zu geben; ich habe Ihnen über mich so viel Neues und dennoch so wenig Erfreuliches mitzutheilen, daß ich nicht recht weiß, bei welchem Ende ich anfangen soll. Sie werden sich erinnern, daß ich bei meinem kurzen Aufenthalte in Cassel im Frühjahr, – eine Zeit, die mir für’s ganze Leben in schöner Erinnerung bleiben wird, – die Absicht hatte, wie bisher, so auch im letztverflossenen Sommer zur Saison nach London zu gehen; ich konnte diesen Plan aber nicht zur Ausführung bringen, weil die Schwäche in meiner rechten Hand –, ein Uebel woran ich nun schon so lange leide, – so zugenommen hatte, daß ich endlich gar nicht mehr spielen konnte; natürlich habe ich nichts unversucht gelassen, und im Laufe der letzten Jahre nacheinander Malz-, Moor- u. Seebäder, Einreibungen, Galvanisiren u. s. w. gebraucht, doch Alles ohne den geringsten bleibenden Erfolg. Jetzt endlich ist meine Ruhe erschöpft, ich kann diesen Zustand beständiger Ungewißheit über meine Zukunft nicht mehr ertragen, und habe mich entschlossen, in den Kaufmannsstand zu treten; es ist die Beschäftigung, die mir unter diesen Umständen am Meisten zusagt, und ich bin überzeugt, ich werde es durch Energie und festen Willen auch in dieser Sache bald auf eine gewisse Stufe bringen, und sollten später einmal durch größere Ruhe meine Handmuskeln wieder kräftiger werden, nun, dann hoffe ich auch als Dilettant noch Freude durch die Kunst zu haben. Wie schwer mir dieser Entschluß geworden ist, werden Sie, verehrter Herr Kapellmeister, gewiß mit mir fühlen, doch durfte ich nicht längern zögern oder stets größer werdenden Unwahrscheinlichkeit der Heilung gegenüber.
Obgleich wir nur wenig zu der Hoffnung berechtigt waren, Sie in diesem Sommer in Hamburg zu sehen, da Ihr diesjähriger Plan ja schon im März festzustehen schien, konnten wir doch vor Beendigung der Ferien nicht ganz an die Nichterfüllung derselben glaubten und hielten bis dahin den Rückweg über Hamburg nicht für ganz so weit, jetzt aber müssen Sie uns sicher auf das nächste Jahr vertrösten; Sie werden dann gewiß große Freude an drei Instrumenten haben, die ich mit Schmidt zusammen neulich aus dem Nachlaß des Instrumentenhändlers Sauke kaufte, die wir übrigens bei passender Gelegenheit auch wieder zu veräußern gedenken, es ist eine Amati Violine v. Jahre 16 , eine v. Jos. Guarnerius v. 17 u. eine herrliche Amati Bratsche, alle drei unbestritten ächt, und so wohl erhalten, daß sie sammt den Stradivarius & Guarnerius Instrumenten, die wir schon vorher besaßen, werth wären, im Glaskasten mir zum Ansehen aufbewahrt zu werden, uns einmal von den ersten dreien zu trennen.
Indem ich von Seiten meiner Mutter1 die herzlichsten Grüße an Sie und Frau Kapellmeister ausrichte, – ich überlasse es Schmidt die Gleichen von meiner Schwester2 zu befördern, bin ich, hochgeehrter Herr Kapellmeister

Ihr treu ergebener
und dankbarer
Bernhard Hildebrand.

Autor(en): Hildebrand-Romberg, Bernhard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Hildebrand-Romberg, Bernhardine
Schmidt, Bernhardine
Schmidt, Fritz
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856100843

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Hildebrand-Romberg an Spohr, 12.10.1855. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Hildebrand-Romberg an Spohr, 11.01.1858.

[1] Bernhardine Hildebrand-Romberg.

[2] Bernhardine Schmidt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.02.2024).