Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochverehrter Herr Generalmusikdirektor!
 
Sie haben mich vor sieben Wochen mit solcher Freundlichkeit in Cassel bei sich aufgenommen, daß ich nicht weiß, wie ich Ihnen meinen Dank dafür herzlich genug aussprchen soll. Die gütige Würdigung, die Sie meinen Compositionen angedeihen ließen, hat mich um so mehr gefreut, da ich schon oft in der Lage gewesen bin, an mir selbst, meiner Befähigung, meinem ganzen Streben irre zu werden. Ich weiß keinen Mann in Deutschland, von welchem ein anerkennendes Urtheil mir lieber gewesen wäre, als von Ihnen; Sie haben mir einen Muth gegeben, mich auf dem Wege, den ich aus Ueberzeugung gewählt habe, weiter zu streben, und im Dienste der Kunst mit meinen geringen Kräften zu leisten, was mir möglich ist.
Sie waren so freundlich, in Cassel mich auch zu fordern, ich möge Ihnen meine Sinfonie schicken, die ich Ihnen damals am Klavier vorspielen durfte. Sie versprachen mir, dieselbe in Ihrem ersten Concerte auf zu führen. Zugleich sollte ich dann persönlich nach Casel kommen, um in demselben Conzerte ein Klavierconzert zu spielen. Sonach bin ich so frei, beikommend Partitur und Stimmen meiner Sinfonie Ihnen zu schicken. Ich lege außerdem noch ein Streichquintett in Partitur und Stimmen bei, da mir sehr viel daran gelegen wäre, darüber ein Urtheil von Ihnen, hochverehrter Herr, zu vernehmen. Was mein persönliches Kommen nach Cassel, und mein Auftreten dasselbst betrifft, so wäre es mir lieber, wenn das erst nach Weihnachten stattfinden dürfte, da es vorher mir schwer fallen würde, mich hier freizu machen. Kann also die Aufführung meiner Sinfonie bis dahin verschoben werden, so ist mir das sehr angenehm, da ich dann jedenfalls selbst dabei zugegen sein kann. Sonst aber bitte ich Sie, die Aufführung dann zu veranstalten, wann es Ihnen am besten paßt, und es mir nicht allzu kurz vorher mit zu theilen; ich werde dann mein Möglichstes thuen, um von hier ls und selbst nach Cassel zu kommen. Wäre es Ihnen in diesem Falle angenehm, wenn ich das Gdur conzert von Beethoven spielte?
Das Schicksal meiner Sinfonie lege ich mit vollem Wortsinn in Ihre Hand. Ich weiß, daß dieselbe leicht ziemlich schwer ist, und dieß namentlich die beiden ersten Sätze nur bei recht guter Aufführung klar werden können. Aber eben dießhalb freue ich mich ungemein, daß Sie sich zur Aufführung entschloßen haben, der ich überzeugt bin, daß dieselbe unter Ihrer Leitung und von Ihrem Orchester eine vollkommene sein wird.
Schließlich bitte ich Sie, daß Sie mich Ihrer ganzen lieben Familie, die bei meiner Anwesenheit in Cassel so gütig gegen mich war, namentlich der Frau Zahn sowie Herrn und Frau Wigand, und besonders Ihrer Frau Gemahlin empfehlen wollen, und daß Sie mir gestatten, mich zu zeichnen
 
mit aufrichtiger Hochachtung
als Ihren ergebensten
Franz Wüllner
Lehrer am K. Conservatorium
 
München d 27. Sept. 1856

Autor(en): Wüllner, Franz
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Wiegand, Johann
Wigand, Nathalie
Zahn, Emilie
Erwähnte Kompositionen: Beethoven, Ludwig van : Konzerte, Kl Orch, op. 58
Wüllner, Franz : Quartette, Vl 1 2 Va Vc
Wüllner, Franz : Sinfonien
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856092745

Spohr



Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Wüllner, 04.03.1857
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.07.2016).