Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Hochverehrter Herr General-Musikdirektor!
so eben sind mir die längst erwarteten, nach Riga verliehenen Noten zugegangen, und ich beeile mich Ihnen Partitur und Orchesterstimmen zu meinem Oratorium zu übersenden. Meinen Entschluß, persönlich bei Ihnen zu erscheinen, hoffe ich zuversichtlich ausführen zu können, als in der zweiten Hälfte desOctober ansetzen. Unser Gymnasial Director welcher mir sehr gern Urlaub zu der Reise nach Cassel ertheilt hat, wünscht nämlich sehr daß meine Anwesenheit am 15. October (am Geburtstage unseres Königs), wegen einer zu veranstaltenden solennen Schulfeierlichkeit, wobei eine Musik-Aufführung stattfinden soll.1 Nach diesem Tage stelle ich mich zu Ihrer Disposition und sehe Ihrer geehrten Benachrichtigung entgegen wegen des von Ihnen zu bestimmenden Termins der Generalprobe und der Aufführung, welche beide selbst zu leiten mir großes Vergnügen gewähren wird. Ich freue mich nun auf die nähere Bekanntschaft Ihrer ausgezeichneten Kapelle und der dortigen Gesanginstitute, nicht weniger auf die Resultate des Einstudirens meines Werks unter Ihrer Meisterhand. Dank, herzlichen Dank im Voraus dafür! –
Die Nachklänge meiner reizenden Harzreise haben sich auch musikalisch geäußert in einigen Pianofortewerken, welche in der letzten Woche entstanden sind. Hoffentlich werden Sie mir gestatten, die bunten Schmetterlinge Ihnen selbst vorführen zu dürfen. Ich bringe die Manuscripte mit, um sie wo möglich bei Herrn Luckhardt zu lassen.2 Von Kistner in Leipzig hatte ich vor einigen Wochen ein größeres Werk für Pianoforte, in 3 Heften, unter dem Titel „Auf der Reise. Phatasiestücke“ zur Correctur, welches demnächst die Presse verlassen wird. –
Durch den Tod Lindpaintner’s ist in Stuttgart wahrscheinlich eine Kapellmeisterstelle vakant geworden. Ich habe dort zufällig keine Verbindungen, sonst würde ich den Versuch machen, als Bewerber aufzutreten. Vielleicht kann mir dabei, falls die Besetzung nicht zur Stelle erfolgt, die Aufführung in Cassel von Nutzen sein, besonders, wenn Sie, hochverehrter Herr Doctor, ein Wort zu meinen Gunsten bei der dortigen Intendanz einzulegen geneigt sein möchten. Der Wunsch, Danzig zu verlassen, wird immer lebendiger in mir, weil ich mich in meinem Wirken für etwas beengt fühle und zu abgeschieden von der musikalischen Welt bin. –
Indem ich seiner Zeit Ihrer Benachrichtigung entgegensehe und mit der Bitte, mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin bestens empfehlen zu wollen, nenne ich mich mit aufrichtiger Verehrung und Hochachtung
Ihren
ganz ergebensten
FWMarkull.
Autor(en): | Markull, Friedrich Wilhelm |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Lindpaintner, Peter von |
Erwähnte Kompositionen: | Markull, Friedrich Wilhelm : Auf der Reise, Kl, op. 45 Markull, Friedrich Wilhelm : Ballade, Kl, op. 66 Markull, Friedrich Wilhelm : Barcarole, Kl, op. 68 Markull, Friedrich Wilhelm : Das Gedächtnis der Entschlafenen Markull, Friedrich Wilhelm : Polonaise, Kl, op. 67 |
Erwähnte Orte: | Danzig Riga |
Erwähnte Institutionen: | Hofkapelle <Stuttgart> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856091544 |
Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Markull an Spohr, 04.09.1856. Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.
Leider enthält dieser Brief keine näheren Anhaltspunkte zur Datierung. Die Rigaer Oratorienaufführung, von der Markull das Aufführungsmaterial zurückerhält, fand bereits am 07.03.1856 statt („[Am 7. März]“, in: Inland <Dorpat> 21 (1856), Sp. 168). Auch der erwähnte Todestag von Peter von Lindpaintner am 22.08.1856 hilft hier nicht weiter (z. B. Bekanntgabe am 29.08.: „Todesfälle“, in: Neue Zeitschrift für Musik 45 (1856), S. 105). Da Markull im Vorbrief mitteilt, er erwarte Partitur und Orchesterstimmen „binnen kurzem“ zurück und er müsse bei dem Direktor des Gymnasiums, an dem er Gesangunterricht erteilt, Urlaub beantragen, könnte dieser Brief etwa zwei Wochen später, also Mitte September entstanden sein.
[1] Vgl. „Chronik“, in: Zu den Schul-Feierlichkeiten welche in dem Königlichen Friedrich-Wilhelms-Gymnasium Freitag den 26. September d. J. Statt finden werden, ladet ehrerbietigst ein der Director Ranke, Berlin 1856, S. 56.
[2] Nach Markull an Spohr, 27.11.1856: Ballade op 66, Polonaise op. 67 und Barcarole op. 68.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.01.2022).