Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Wohlgeboren
dem General-Musikdirektor und
Hof-Kapellmeister
Herrn Dr. Louis Spohr
in
Cassel.

Beikommend:
ein Pack, worin
gedruckte Musikalien,
sign. H. Dr. S. # 34.

franco.1


Danzig, den 4. September 1856.

Hochverehrter Herr!

Herzlichen Dank zuvor für Ihr so überaus freundliches und wohlwollendes Schreiben. Daß die Besetzung der Kapellmeisterstelle2 bei Ihnen so schnell von Statten gehen würde, ahnte ich nicht. Daß das Resultat nicht zu meinen Gunsten ausgefallen ist, muß ich natürlich lebhaft bedauern3, da es mir große Freude gemacht haben würde, einmal meinen musikalischen Wirkungskreis zu erweitern und aus meiner hiesigen gar zu isolirten Stellung herauszukommen, und sodann in der Nähe, der sich mir zugleich als wohlwollender Freund gezeigt hat, meine Künstlerlaufbahn fortzusetzen. Doch, das Leben bringt der unerfüllten Wünsche und Hoffnungen so viele, daß man zu entsagen gelernt hat. Wie sich denn aber aus einer getäuschten Hoffnung gleich wieder eine neue bildet, so ist in mir der Gedanke aufgesteigen, daß sich vielleicht bald eine andere Gelegenheit darbietet, duch Ihre gewichtige Vermittlung meine Danziger Stellung mit einer mehr künsterlischen und umfassenderen vertauschen zu können. Hoffentlich wird mein Oratorium, dessen Sie sich so freundlich annehmen, etwas dazu beitragen, Ihre mir überaus schätzbare güntige Meinung über meine Bestrebungen zu befestigen und mir Ihr Wohlwollen zu erhalten. – Ich würde mit der Uebersendung des Werkes nicht geäumt haben, wenn ich mich augenblicklich im Besitze desselben befunden hätte. Auch jetzt stehen die Orchesterstimmen und die Partitur noch nicht zu meiner Disposition. Ich erwarte das Werk binnen Kurzem aus Riga, wohin ich es zu einer Aufführung verliehen habe. Zum Glück habe ich mir bei dem Erscheinen des Oratoriums von dem Verleger eine größere Anzahl von Singstimmen geben lassen, so daß ich nun im Stande bin, nachdem ich noch in Eile die Solostimmen ausgeschrieben habe, Ihnen vorläufig zum Beginn der Uebungen einen Klavier-Auszug, nebst den Singstimmen beikommend zu übersenden. Die letzteren werden hoffentlich ausreichen, da ich außer 52 gestochenen Chorstimmen noch 26 geschriebene zu Ihrer Disposition stelle. Paritur und Orchesterstimmen werde ich jedenfalls im Laufe des Monats erhalten und dann sogleich nachschicken. Daß ich mich zu der Aufführung sehr freue, bedarf wohl keiner besondern Versicherung. Auch ist mir der Gedanke sehr lockend, bei dieser Gelegenheit persönlich bei Ihnen zu erscheinen und Ihre ausgezeichnete Kapelle kennen zu lernen. Ich hoffe Ihrer freundlichen Einladung nach Cassel Folge geben zu können, obschon finanzielle Rücksichten, in Ansehung meiner Sommerreise, mir eigentlich Entsagung auferlegen sollten.
Natürlich setze ich dabei die Erlangung des nöthigen Urlaubs voraus, dessen ich in meiner Function als Gesanglehrer beim hiesigen Gymnasium bedarf. Ich werde dazu bei Zeiten Schritte thun und hoffentlich mit Erfolg, da ich die Reise auf ein möglichst kurzes Maaß zu beschränken gedenke. Im Falle meines Erscheinens würde ich auch von Ihrem gütigen Anerbieten, das Oratorium persönlich zu leiten, Gebrauch machen und mithin zur Generalprobe, welche wohl am Tage vor der Aufführung stattfindet, bei Ihnen eintreffen.
Nehmen Sie, hochverehrter Herr Doctor, im Vora[us] meinen ergebensten Dank für das Interesse, welche[s} Sie meinem Werke zuwenden. Indem ich seiner Zeit Ihrer Benachrichtigung über den Termin der Aufführung entgegensehe und mit der Bitte, mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin angelegentlichst empfehlen zu wollen, zeichne ich mich in aufrichtiger Verehrung und Hochachtung

Ihren
ganz ergebensten
FWMarkull.

Autor(en): Markull, Friedrich Wilhelm
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Markull, Friedrich Wilhelm : Das Gedächtnis der Entschlafenen
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856090444

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Markull. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist undatiert.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der stark verwischte Poststempel „DANZIG / [???] [???]“.

[2] Bewerbung um die Position des zweiten Kapellmeisters am Hoftheater in Kassel in Nachfolge des entlassenen Jean Joseph Bott (vgl. Spohr an Ferdinand Böhme, 12.06.1856; „Herr Capellmeister Bott in Cassel”, in: Signale für die musikalische Welt 14 (1856), S. 304; „Ueber die Bott-Angelegenheit”, in: ebd., S. 340).

[3] Auch andere Interessenten für die Stelle äußerten sich enttäuscht (Gottfried Herrmann an Spohr, 29.08.1856; Ferdinand Böhme an Spohr, 03.04.1857).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.01.2022).