Autograf: Universitätsbibliothek Kassel, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms.Hass. 287

Frankfurt a/m d 7t August 1856.

Hochgeehrtester Herr GeneralMusikdirektor!

Selbst auf die Gefahr hin, daß Sie über meine öftere Plagereyen unwillig werden, muß ich es dennoch wagen, Sie zu belästigen. – Vor Ablauf dieses Monats muß ich dem Vorstande meines vereins Vorschläg zu Aufstellung eines Programms für unsere Winterconzerte machen. Nun ist es für mich eine ernstliche Angelegenheit, im nächsten Winter ein Oratorium von Ihnen zur Aufführung zu bringen, und um so mehr möchte ich gerade daran rechten Fleiß verwenden, als gerade die derartigen Werke Ihrer Muse hier – ich schäme mich fast, es auszusprechen – in Frankfurt nahezu kaum mehr als dem Namen nach bekannt sind –
Was auch die Ursachen hiervon sein mögen, ich meinerseits werde, so viel in meinen Kräften stehet, das redliche Bemühen haben, Werken, die ich hochschätze, gerecht zu werden, und die bedeutende Stellung, welche sich mein Verein hier, seit seinem dreijährigen Bestehen, erworben, berechtigt zu der Annahme, daß meine desfallsigen Bemühungen nicht erfolglos bleiben und wohl ein bedeutendes beitragen werden, verknöcherte Vorurtheile zu erweichen. – Ein andres ist es mit dem Anschaffen der Musikalien, und besonders deshalb wende ich mich an Sie zuerste, bevor ich mit meinem Programm hervortrete. – Da der Rühl’sche GesangVerein im Gegensatz zu dem CäcilienVerein seine sämtlichen Conzerte mit großer Orchesterbegleitung giebt, (während letzterer sich gewöhnlich mit Klavierbegleitung hilft) da ich ferner meine Aufführungen in jeder Beziehung1 möglichst vollendet hinzustellen suche, und deshalb viele Orchesterproben halte, die alle theuer bezahlt werden müssen, so ist der Verein für diesen Winter nicht wohl im Stande, neue Musikalien anzuschaffen, sondern, wenn es angeht, etwa nicht vorhandene Werke von Nachbarstädten sich zu entleihen, sowie er auch allen ähnlichen Wünschen, die von außen an ihn gestellt wruden, zu jeder Zeit bereitwilligst entgegengekommen ist. – Möchten Sie, nach dem Gesagten, meine Anfrage nicht übel deuten, und mir, wenn Sie einen freien Augenblick haben, gefälligst eine Antwort zukommen lassen, ob ich, resp. mein Verein, etwa durch Ihre gütige Vermittlung aus Cassel ein Werk Ihrer Feder,2 entweder den „Fall Babylons,“ oder „des Heilands letzte Stunden“ in der nothwendigen Stimmenanzahl (110 Singstimmen, Orchesterstimmen und Partitur) zum Zwecke des Einstudirens und der Aufführjung könnte geliehen bekommen. – Zum ersten Winterkonzert werden die Jahreszeiten aufgeführt; die andren Conzerte aber haben noch kein Repertoire. Es würde also ganz gleich sein, zu welcher Zeit ein Oratorium von Ihnen gemacht wird, und wenn wir hier das Glück haben dürften, durch Ihre Anwesenheit bei dem Conzerte geehrt zu werden, so könne dasselbe zu einer jeden von Ihnen gewünschten Zeit Statt finden. Würden Sie mir gestatten, dem Verein Ihre Herkunft zur Aufführung in Aussicht stellen zu dürfen, so möchte darin eine grlße Aneiferung liegen, und, wenn Sie persönlich, als Componist des Werkes, vielleicht manches nicht ganz nach Ihrem Sinn hören würden, wie das ganz natürlich ist, so glaube ich doch, ohne unbescheiden zu sein, aus vollster Überzeugung versichern zu können, daß Sie einen ähnlich guten Chorgesang selten bei einem gemischten Vereine finden werden. –
In der Erwartung einer gefälligen Antwort unterzeichnend

mit größter Hochachtung
Ihr
ganz ergebenster
F.W.Rühl.

Autor(en): Rühl, Friedrich Wilhelm
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Der Fall Babylons
Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Erwähnte Orte: Frankfurt am Main
Erwähnte Institutionen: Cäcilienverein <Frankfurt am Main>
Rühl'scher Gesangverein <Frankfurt am Main>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856080744

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Rühl an Spohr, 01.03.1856. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Rühl an Spohr, 01.01.1857.

[1] Hier gestrichen: „in“.

[2] Hier gestrichen: „et“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.05.2023).